Style is a personal asset

JVR at Colombo - Piero Istrice

Anlässlich des 21. Wirtschaftsforums Südostschweiz in Chur von Ende August 2018 wieder einmal ein längeres Interview gegeben – und zwar der «Bündner Woche». Hier ist es …

…Und dann ist da noch der Schweizer Lifestyle- und Modejournalist Jeroen van Rooijen. Der 1970 in der Ostschweiz geborene van Rooijen stiess nach diversen Stationen im Jahr 2003 als Moderedaktor zur «Neuen Zürcher Zeitung», wo er bis Mitte 2010 den Stil-Bund der «NZZ am Sonntag» leitete und den Launch der monatlichen Magazin-Beilage «Z–Die schönen Seiten» verantwortete. Im Jahr 2016 gehörte er zum Gründungsteam der Online-Plattform «NZZ Bellevue», die er von Anfang 2017 bis Sommer 2018 als Gesamtverantwortlicher für alle Lifestyle-Produkte der NZZMediengruppe leitete. In den Jahren 2009 bis 2014 war er regelmässiger Referent für Zeitgeistfragen am Deutschen Mode Institut in Köln sowie beim Schweizerischen Textilverband Swiss Textiles. Im Jahr 2016 kürte das deutsche Magazin «Gentlemen’s Quarterly» (GQ) Jeroen van Rooijen zum «bestangezogenen Mann in der Schweiz».

Am Wirtschaftsforum erklärt er, weshalb Modebewusstsein auch in der Geschäftswelt von entscheidender Bedeutung sein kann. Denn Fakt ist: Nicht jeder Kleidungsstil kommt im Büro gut an. Wer sich nachlässig kleidet, strahlt schnell aus, dass ihm die Arbeit eigentlich egal ist – und das fördert nicht gerade den beruflichen Aufstieg. Wer Karriere machen möchte, sollte seine Kleidung im Büro deshalb sorgfältig auswählen und auch in anderen Bereichen Stil haben, was uns zur ersten Frage an den Experten führt.

Bündner Woche: Herr van Rooijen, was ist eigentlich Stil?

Jeroen van Rooijen: Stil ist von aussen betrachtet eine adrette Erscheinung und geschliffene Wesensart, aber tatsächlich geht es um mehr. Stil ist in erster Linie Bewusstsein – ein gefestigtes Wissen darum, dass alles, was man tut, trägt oder hinterlässt, von anderen bemerkt, registriert und bewertet wird. Wer Stil hat, fällt anderen Leuten nicht zur Last und nimmt sich ein Stück weit zurück.

Und was ist nun guter Stil?

Guter Stil ist, wenn der Mensch, sein Wesen, seine Aufgabe im Leben und seine äussere Erscheinung im Einklang sind, wenn das Ganze ein stimmiges Bild abgibt. Deswegen gibt es nicht den einen einzigen guten Stil – das Thema ist sehr individuell und für jeden anders auslegbar. Guter Stil ist es aber immer, seine eigenen Freiräume nicht zulasten anderer auszuweiten. Anders gesagt: Guter Stil hört dort auf, wo ich anderen Menschen mit meiner Art, meinem Ausdruck und meiner Kleidung zu nahe trete. Wichtig ist auch, dass man merkt, dass jemand sich und die Welt mag: Dazu gehört mehr als nur die gute Kleidung, sondern auch Pflege, Körpersprache und Gestik.

Kann man(n) oder Frau Stil lernen?

Aber sicher. Wie das Schwimmen oder Autofahren kann man auch den Umgang mit den äusseren, sichtbaren Mitteln des Stils erlernen. Etwas anspruchsvoller ist das Trainieren der inneren Werte. Darum sage ich: Alle können daran arbeiten und sich verbessern, aber nicht jeder wird ein Michael Phelps oder Ayrton Senna werden. Geborene Stilhelden sind so selten wie Ausnahmesportler.

Wie sind Sie eigentlich zum Stilexperten geworden?

Den ersten Impuls gab mir mein Grossvater, der Herrenschneider war – ein sehr eleganter Mann mit Manieren. Er hat mir die Grundsätze der Proportion gezeigt. Es folgte ein jahrelanges, tägliches Training, ein nicht ermüdendes Interesse an dem Thema und die berufliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Meine «Feldarbeit» als Wanderprediger, also die Einsätze als Vortragender auf Seminaren und Workshops, hat mir viel praktische Einblicke in die Stilnöte der Menschen gegeben.

St. Gallen - Mode mit Modefrachmann Jeroen  van Rooijen in der St. Galler Innenstadt

St. Gallen – Mode mit Modefrachmann Jeroen van Rooijen in der St. Galler Innenstadt. (Bild: Ralph Ribi)

Wie finde ich meinen eigenen Stil?

Durch einen ehrlichen, tapferen Blick in den Spiegel und das entsprechende Handeln danach. Wer seinen Körper nicht mag, muss an ihm arbeiten. Wer ihn gerne mag, der wird ihn auch ordentlich kleiden wollen. Hier können praktische Erfahrungen helfen, sich zu verbessern: Shopping, das Urteil von guten Freunden, der kritische Blick eines Beraters, das aufmerksame registrieren von Reaktionen. Und schliesslich gibt es tolle Bücher! Nur eines hilft nicht: Fernsehserien wie «Shopping Queen» schauen.

Ist guter Kleidungsstil eine Frage des Geldes?

Mitnichten. Das mag früher so gewesen sein, als Kleidung noch ein Statussymbol und eine Anschaffung mit Kostenfolge war, aber heute gibt es ordentliche Kleidung für wenig Geld, und jeder, der will, kann sich anständig anziehen. Wenn jemand sagt, dass ihm das Budget fehle, um sich stilvoll zu kleiden, ist das nicht mehr als eine faule Ausrede. Ich kenne Menschen, die finden die tollsten Outfits in Brockenhäusern.

Was halten Sie von Löchern in Jeans?

Das ist nun wirklich eine kranke, hirnrissige und von hinten bis vorne verachtenswerte Entwicklung der modernen Mode. Diese ab Fabrik bereits vorsätzlich zerstörten Beinkleider sind pure Dekadenz und vollendeter Blödsinn. So etwas kann sich nur eine Gesellschaft leisten, die innerlich schon ziemlich weit verrottet ist. Anders ist es, wenn Kleidung in Würde altert und geflickt wird: Das hat seine eigene Schönheit, gegen die nichts einzuwenden ist.

Was ist die korrekte Länge der Krawatte?

Donald Trump trägt seine deutlich zu lang. Die Krawattenspitze sollte nicht auf dem Hosenlatz oder weit unter dem Hosenbund enden, wie das der US-Präsident stets zeigt, sondern exakt auf dem Gürtel. Die Spitze der gebundenen Krawatte berührt beim aufrechten Stehen gerade den Gürtel, mehr nicht.

Mit kurzen Hosen ins Büro? Ein No-go?

Würde ich nicht pauschal sagen. Es kommt sehr auf die Temperaturen, die Branche und die Kombination der kurzen Hosen mit dem restlichen Outfit an.Wenn es heiss ist, können kurze Hosen chic aussehen. Vielleicht nicht für einen Bankdirektor, aber für Bürolisten mit geraden, nicht käseweissen Beinen kann es gehen. Wichtig: Wer kurze Hosen trägt, sollte vielleicht nicht auch noch ein Trägershirt und Flipflops tragen, sondern gute Schuhe und ein Hemd. Die Balance sollte gehalten werden, damit es nicht aussieht, als komme man gerade vom Sportplatz.

Weisse Socken, eine Karrierebremse?

Vermutlich schon. Obwohl die weissen Sportsocken bei Avantgardisten gerade wieder hoch im Kurs sind – ganz Wagemutige tragen sie zu kurzen Hosen in Plastiksandalen, sogenannten «Adiletten». Aber das ist ein Spezial-Gag aus der Abteilung «Ugly Chic» und nur jungen Menschen unter 25 zu empfehlen.

Macht nur Kleidung einen guten Stil aus?

Natürlich nicht. Mir sind nachlässig gekleidete Leute mit Charme und Witz daher noch immer lieber als perfekt angezogene Pinkel ohne Humor und mit schlechten Manieren. Es kommt auf das Gesamtpaket an. Ein massgeschneiderter Anzug macht aus keinem Rüpel einen Gentleman, er sieht höchstens kurzzeitig so aus.

Fast alle Männer tragen Bart – ein Must derzeit? Wer darf wann Bart tragen?

Ich wäre vorsichtig.Wenn man jung und fit ist, kann so ein Bart ein spannendes Accessoire sein – er macht älter, männlicher und seriöser. Aber wenn man nicht mehr absolut jung ist, vielleicht schon ein bisschen aus der Form und der Bart grau wird, dann macht er eindeutig älter. Dann braucht es viel Pflege, das entsprechende Outfit und Aufmerksamkeit, um nicht wie ein Penner auszusehen.

Dürfen Männer Ohrringe tragen?

Natürlich dürfen sie das – fast alles ist heute möglich. Die Frage ist nur: Muss ein Arbeitgeber auch alle Spleens seiner Mitarbeiter akzeptieren? Hier hilft es, klare Regeln zu formulieren. Schliesslich gibt es ein Leben «on the job» – und ein privates. Da darf jeder tun und lassen, was und wie er will, sofern er damit anderen nicht zur Last fällt.

25 Dinge, die kein Mann über 35 tragen sollte – Sie haben dies zusammengefasst. Was sind Ihre drei Favoriten?

Dreiviertelhosen, Plastiksandalen («Crocs») und übergrosse Armbanduhren. Alle drei Dinge sind okay für Knirpse und Halbwüchsige, aber nicht für erwachsene Männer.

Und drei Dinge, die ein Mann über 35 unbedingt im Schrank haben sollte?

Ein frisch gebügeltes Hemd (langärmlig), ein dunkelblaues Jackett und ein sehr gutes Paar gepflegter Schuhe.

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