Was ist heute Luxus?

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Ich durfte für die Hauszeitung „In the Mood“ des Genfer Luxus-Handelskonzerns Brunschwig, zu dem auch das noble Zürcher Haus Grieder gehört, einen Text über die Neubewertung von Luxus schreiben. Ich meine, dass sich da viel verändert hat und Luxus nicht mehr das ist, was viele dafür halten – nämlich die Oberfläche und das Label. Alles weitere im Text unten …

Das neue Magazin, für das der von uns sehr geschätzte Stéphane Bonvin verantwortlich zeichnet, ist sehr schön geworden, weswegen wir diese Zeilen hier gerne mit unseren Lesern teilen wollen. Merci, Stéphane!

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Luxus zum Anfassen 

Mode, Eleganz und Schönheit wirken nicht nur über das Auge: Neu erschliessen sie sich auch über die Haut. 

Text / JEROEN VAN ROOIJEN*  Illustration / AURORE DE LA MORINERIE

Brunello Cucinelli schlendert, wie so oft in seinem ty- pischen Zweireiher gekleidet, gemessenen Schrittes durch den Mailänder Showroom, lässt seine Finger über die aufgehängten Musterteile gleiten und mur- melt: „Touch, touch!“. Er fordert mich auf, die Augen zu schliessen und in die Stoffe zu greifen. Ich komme sei- nem Ansinnen gerne nach, denn die Cashmeres, die hier verwendet werden, sind wirklich aussergewöhnlich: Mit ihren ultrafeinen Fasern schalten sie für einen Moment den Verstand aus.

Brunello Cucinelli hat Sanftheit, Weichheit und taktilen Genuss zu seinem Markenzeichen gemacht. „Touch & feel“ sind so wichtig wie die schmeichelnde Optik und die subtilen Naturfarben seiner Kollektionen. Sein Stil erschliesst sich über die Sinne. Und lässt das Unternehmen raketenhaft abheben. Cucinelli eilt von Erfolg zu Erfolg, weil er ein neues Verständnis von Luxus etabliert hat.

Luxus, so lese ich immer wieder, habe in den letzten zehn Jahren seine Bedeutung vollkommen verändert. Statt sichtbarer Statussymbole sucht der reife Luxuskunde unserer Breitengrade heute nach Sinn, Inhalt, Erlebnissen und Ruhe. Wenn Prominente gefragt werden, was ihr grösster Luxus sei, erwähnen sie Zeit, Familie und Lebensraum, nicht ein schnelles Auto, eine exklusive Uhr oder eine ausladende Villa. Wir besitzen schon so vieles – da erregt nur noch das, was einem neue Sinnesfreuden beschert, und zwar jenseits von Glanz und Gloria.

Brunello Cucinelli macht es vor, und die Designer und grossen Kaufhäuser, die sich dem Trend anschliessen, bestätigen es: Luxus wird stiller, persönlicher und introvertierter. Es reicht dem avancierten Konsum-Feinschmecker zu wissen, dass die guten Dinge, die er besitzt, auch wirklich rar und besonders sind. Sehen muss man das nicht. Aber fühlen sollte man es unbedingt!

Brunello Cucinellis Modelle wirken wie eine sanfte Massage, die einen weich werden und alle Vernunft über Bord werfen lässt. Der Verstand kehrt erst zurück, wenn man die Kredit- karte zurück ins Portemonnaie steckt und beschwingt mit seinem Einkauf den Laden verlässt – im Bauch das gute Gefühl, dass gute Dinge nicht nur einen stolzen Preis, sondern vor allem einen hohen Wert haben können.

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2 Comments

  • Antworten September 2, 2015

    Marc Schmid

    Ein interessanter Bericht über den italienischen Designer! Stöbert man noch ein wenig weiter im Internet, findet man weitere Infos über die Geschichte des Unternehmens und die Herstellung der Kleidungsstücke. Faszinierend ist auch, dass Cucinelli einen wesentlichen Teil seiner Ware in einem italienischen Dorf produziert, mit einer vorbildlichen Unternehmensphilosophie, die heute leider zur Seltenheit geworden ist.
    Was mich allerdings etwas irritiert, sind die Preise für seine ready-to-wear Stücke. Wie schafft es ein Hersteller ready-to-wear Ware so erfolgreich zu verkaufen, wenn man beim Massschneider ein qualitativ ebenbürtiges Kleidungsstück fertigen lassen kann, exakt nach den eigenen Wünschen und mit einer perfekten Passform?

    • Antworten September 2, 2015

      Jeroen van Rooijen

      Werter Marc, das ist wirklich die grosse Frage – und auch die Kehrseite! – des Phänomens Cucinelli. Die Sachen sind so teuer wie sonst nur Hermès, und das schliesst leider viele aus. Wem es also nicht um den kuschelweichen Klang dieser Marke geht, der geht wirklich auch gerne mal zum Massschneider.

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