Wir haben die letzten Tage mit 120 Schneidermeisterinnen und Schneidermeistern aus vier europäischen Ländern verbracht – in Basel fand der EMTC statt, der European Master Tailor Congress, der alle zwei Jahre in einem der Mitgliedsländer abgehalten wird. Mit dabei waren Delegierte aus Holland, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Südtirol konnte dieses Jahr nicht teilnehmen.
Das Dabeisein am EMTC 2014 in Basel war einerseits eine Aufgabe – es gab ein Podium zu moderieren und einen Blog zu bestücken, siehe HIER –, andererseits war dieser Kongress aber auch eine Herzenssache, weil die Schneiderei uns selbst in den Knochen steckt und es uns natürlich als artverwandte Berufsleute sehr interessiert, wie es der Gilde der Schneidersleute geht. Als Nachfahre eines niederländischen Schneidermeisters, der mit seinem Handwerk immerhin sechs Kinder und seine Schwestern zu ernähren wusste, ist es uns ein Anliegen, selbst zu sehen, wie es dem Traditionsfach heute geht.
Die dreieinhalb Tage in Basel waren erlebnisreich! Am Auffahrts-Donnerstag gab es bei tollstem Wetter einen Empfang im Museum der Kulturen, wo die EMTC-Teilnehmer erstmals seit zehn Jahren wieder in der Schweiz zusammenkamen. Viele hatten sich hübsch angezogen, oftmals in selbst gefertigter Kleidung. Nach einem Rundgang durch das Museum folgte ein – eher frugales – Dinner im Rollerhof.
Der Freitag war der ‚working day‘ des EMTC, mit einem kleinen Dutzend Vorträgen, die in den Räumen der BFS Basel stattfanden und abwechslungsreiche Erkenntnisse boten: Bernadette Gürber verschaffte den Schneiderinnen und Schneidern einen historischen Überblick über die zeichnerische Darstellung des Kleides; Patrick Schudel erzählte von der Entwicklung der zeitgenössischen Sakko-Passform; Ivan Naef von der Kunst eines gekonnten Verkaufsgesprächs oder Beata Sievi über das exotisch-erotische Handwerk einer Corsettière. In allerbester Erinnerung ist auch Karen Feelizitas Petermann, die sich mit einer völlig anderen, acht Meter am Stück messenden Schnittabwicklung für die männliche Silhouette befasste und alle mit diesen Entwürfen verblüffte.
Dazwischen gab es Gelegenheiten zum fachlichen Austausch sowie die ‚Modenschau der Vergleichsmodelle‘ – hierzu bekommt jedes Land eine bestimmte Betrage desselben Stoffes und hat die Aufgabe, daraus eine kreative Schneiderleistung zu kreieren. Die Ergebnisse waren höchst unterschiedlich – die einen sehr kreativ, die anderen von einer handwerklichen Besessenheit, die für sich spricht. Die Schneider sind also schon ein bisschen besessen! Den ‚working day‘ rundete ein Podiumsgespräch ab, bei dem fünf Fachleute die Zukunft des Schneidergewerbes auszuleuchten versuchten. Dabei wurde klar: es steht nicht zum Besten – es fehlt zwar nicht an interessiertem Nachwuchs, aber an Ausbildungsplätzen und Lehrstellen. Arbeiten könnte man des weiteren an gestalterischer Modernität, Vermarktungsfähigkeiten und an Bewusstsein für die Bedeutung der digitalen Dimensionen.
Am Samstag folgte eine grosse Modenschau in der Offenen Kirche Elisabethen in Basel, bei der über hundert Outfits vorgeführt wurden! Jedes Land hatte einen separaten Showblock von etwa 20 Minuten gut. Die Holländer hatten bisweilen Witz und zeigten auch da und dort ungewöhnliche Stylings. Die Österreicher brillierten dafür eher mit Traditionsbewusstsein, die Deutschen setzten auf Klassik. Und bei den Schweizern durften wir – obwohl durchaus vom Fach! – so manchen Namen auf der Bühne sehen, der uns vollkommen neu war. Die Schneider wissen sich also gewieft vor der Öffentlichkeit zu verstecken… Erstaunlich, da doch eigentlich der Zeitgeist – das Interesse an Individualität und Manufakturarbeit! – durchaus für sie arbeiten würde?
Abschluss des dritten Tages bildete das glamouröse Dinner aller 120 Teilnehmer im Zunfthaus Safran in Basel. Alle Schneiderinnen und Schneider hatten sich hierzu in grosse Garderobe gestürzt – die Herren fast ausnahmslos in festlichen Smokings mit Fliege, die Damen zumeist in selbst geschneiderten, langen Roben. Ein opulentes Fest fürs Auge und ein absolutes Novum: Noch nie haben wir es erlebt, dass eine Festgemeinschaft derart penibel und detailverliebt der Dresscode-Emfpehlung einer Gala folgt und sich entsprechend kleidet. Keiner foutierte sich um den Stil! Hut ab vor den tollen Schneiderinnen und Schneidern…