Muss man Krimis mögen?

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Spannende Frage von Leserin M.G. aus Burgdorf, die mich persönlich sehr zum Nachdenken gebracht hat: «Werter Jeroen van Rooijen, ich arbeite in jener Kleinstadt, die durch ihre ‚Krimitage‘ berühmt wurde, als Stadtführerin – und muss gute Miene zu bösem Spiel machen und chic finden, was mir ein Greuel ist: der Krimi. Allgemein macht mir der wachsende Hype um  abendfüllende TV-Serien wie ‚Der Bestatter‘, ‚Tatort‘ etc. zu schaffen. Bin ich völlig demodé? Muss man das Leichenhallenfeeling mögen? Oder ist der Krimi vielleicht morgen endlich, endlich tot…?»

Ich finde die Frage insofern spannend, als dass dies ein Gefühl ist, das ich persönlich stark teile. Ich mag überhaupt keine Krimis und Mörderfilme, ich kann mich dabei weder entspannen noch amüsieren. Es ist mir ein völliges Rätsel, warum sich so viele Leute in ihrer Freizeit aus freien Stücken mit Mord und Totschlag konfrontieren. Ich sehe all diese Gewalt, all diese schockierenden Bilder, alle diese mit Waffen herumfuchtelnden und von Explosionen strotzenden Trailer und denke: Himmel, ist das Leben der Leute wohl so langweilig, dass sie sich all diesen Mist herbeiträumen? Ich bin auch überzeugt, dass es die Bereitschaft, selbst Gewalt anzuwenden, herabsetzt.

Ich sah einmal in München den Film ‚American Psycho‘ – mir ging es danach 24 Stunden körperlich schlecht, der Film hat mich total belastet. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie pervers und innerlich verrottet man sein muss, um sich das auszudenken oder noch erquickend zu finden? Wenn ich einen Krimi schauen muss, bekomme ich Herzklopfen und kalte Hände. Ich weiss rational zwar, dass es alles ’nur Film‘ ist, aber ich bin dennoch beelendet von dem allem. Mir ist die Diskrepanz zwischen realem Leben und der Fiktion einfach zu gross.

kinopoisk.ru

Anders gesagt: Mir hat im realen Leben gottseidank noch nie jemand eine Knarre an die Schläfe gedrückt, mit einer Axt die Hoteltür aufgehackt oder das Auto unterm Arsch weggesprengt, ich habe auch noch nie eine Verfolgungsjagd erlebt und auch keine Schiesserei in einer Kneipe. Kann sein, dass ich also ein langweiliges Leben führe, aber ganz ehrlich: Mir ist’s auch ohne die ganze herbeifabulierte Gewalt schon stressig genug. Die Konsequenz ist die, dass ich kaum noch ins Kino gehe (wenn, dann nur absolut gewaltfreie Streifen) und kein TV mehr schaue. Meine Frau sieht das ein wenig anders, sie liebt skandinavische Krimi-Romane und Hörbücher. Ich kann damit aber gar nichts anfangen.

Vielleicht sind wir beide, liebe Marianne, einfach nicht stark genug für diese Welt?

Ich habe aber Hoffnung, dass wir nicht alleine sind. Der von mir sehr geschätzte und für seinen Scharfisnn bewunderte Filmkritiker Christian Jungen von der ‚NZZ am Sonntag‘ schrieb vor einiger Zeit das wunderbare Traktat ‚Hört auf, die Gewalt zu feiern‘ (hier nachzulesen). Er schrieb: «Der Brutalo-Naturalismus stumpft bloss ab. Zudem ist es sehr einfach, Blut fliessen zu lassen, aber sehr schwierig, echten Schauder zu erzeugen. Ein Beispiel könnten sich Hollywoods Gewaltpornografen an Hitchcock nehmen, dem unerreichten Meister des Schreckens.» … und weiter: «Man würde sich wünschen, dass die Filmindustrie wieder vermehrt auf Geschichten mit menschlicher Note setzt.» Ich habe dem wenig hinzuzufügen.

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