We are giving style advice

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Heute morgen wieder mal ein Interview zum Thema ‚Stil‘ gegeben – es wird demnächst in einer Winterthurer Studenten-Zeitung namens ‚Brainstorm‘ erscheinen. Ich finde es wichtig, sich Zeit für diese Art der Weiterbildung zu nehmen und freue mich immer über den Austausch mit Studenten. Der Fragesteller war dieses Mal etwas ‚aufsässig‘ bzw. auf kritisch gebürstet, aber das finde ich recht prima, weil dadurch ein paar Themen aufs Tapet kommen, die mir etwas bedeuten. Anbei also der neueste ‚Striptease‘!

Brainstorm: Die obligate Frage zu Beginn: Was ist guter Stil?

Jeroen van Rooijen: Stil ist der gelebte Wille, etwas für sich und seine Mitmenschen zu tun – aus Liebe zum Leben, aus Begeisterung an der Schönheit und aus Respekt vor anderen. Stil ist vornehme Rücksichtnahme und gleichzeitig Wille zur Pracht. Im Zwischenmenschlichen gibt es noch ‚guten Stil‘ bzw. das Gegenteil davon, aber in der Ästhetik gilt heute kein einzig ‚richtiger‘ Stil mehr, es gibt nur noch passend oder unpassend.

Wie wurden Sie zum Stilfachmann?

Das hätte ich mir als junger Mann nicht ausgedacht, bzw. damals wäre es eine höchst unpassende Rolle gewesen! Ich wurde über mein Schreiben über Mode und schöne Dinge zum Orakel der Leser, die mich immer öfter um Rat fragten, wie ich das so sähe. Daraus ist eine Kolumne und schliesslich eine Rolle geworden, die mich manchmal natürlich auch etwas einschränkt.

In der globalisierten Welt verkommt Stil zu etwas zutiefst individuellem, man versucht sich auszudrücken und von anderen abzugrenzen. Sind Stiltipps überflüssig geworden?

Sind sie nicht. Sie sind zwar nicht verbindlich und allgemeingültig, sondern haben nur für den Einzelfall wirklich Bedeutung. Aber in dieser Welt, die sich vor allem über bewusste Konsumentscheidungen sichtbar macht und definiert, ist das Wissen, was gut oder weniger schick ist, ein gefragtes Gut.

Sie haben einmal gesagt, guter Stil sei keine Frage des Geldes. Was dann?

Stil ist eine Frage des Willens, nicht des Könnens. Weil man sich die elemantaren Grundregeln des respekt- und rücksichtsvollen Zusammenlebens und die Kunst der Konversation auch ohne teure Bildung aneignen kann, durch einfache menschliche Interaktion. Und weil man sich gute Kleidung, oder zumindest solche, die zeitgemäss aussieht, heute auch mit kleinem Budget kaufen kann.

Als Stilfachmann bestimmen Sie Trends mit. Die Konsumgesellschaft richtet sich danach und deckt sich mit neuen Outfits ein. Muss man immer das Neuste haben oder wäre weniger manchmal nicht mehr?

Natürlich ist es sinnvoll, weniger und besser zu kaufen. Wenn Sie meine Artikel richtig lesen, fällt Ihnen bestimmt auf, dass ich seit über fünf Jahren schon dafür plädiere, eher mal einen Trend auszusetzen als immer den neuesten Gags hinterherzurennen. Wir werden in Zukunft weniger, bewusster und besser einkaufen müssen, soll diese Welt uns allen noch eine Chance bieten.

Modekonzerne wie H&M und Zara produzieren in Asien teils unter menschenunwürdigen Bedingungen. Kann man als stilbewusster Mensch noch bei diesen Labels einkaufen?

Als stilbewusster Mensch kann man solche Sachen vielleicht schon tragen, als verantwortungsbewusster Mensche eher nicht. Wer einigermassen nachdenkt, der muss anhand der Preisschilder schon erkennen, dass die Rechnung für irgend jemanden in der Kette nicht aufgeht. Und dieses ‚Opfer‘ steht, wie man eigentlich wissen müsste, meistens zuunterst. Doch nicht alles, was billig ist, ist verwerflich. Man muss sich die Zeit nehmen, sich zu erkundigen und notfalls nachhaken. Gibt es dann keine klaren Antworten, Finger weg.

Sie geben Tipps, was gerade im Trend und angesagt ist. Machen sie sich damit nicht zum Komplize der Modeindustrie?

Da haben sie leider den falschen erwischt. Da müssten Sie die Kollegen von SI-Style, Faces oder Friday fragen, die praktisch jeden Furz der Markenindustrie recht willfährig auf ihre Seiten hieven. Mir geht es schon lange um andere Werte als um das, was die Luxusindustrie suggeriert.

 

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Sie gelten einer, der Stilbeilagen in der Schweiz massgeblich geprägt hat. Was macht eine gute Stilbeilage aus?

Sie hat eine Haltung. Und da sehe ich zur Zeit leider in diesem Land keine. Alle rennen nur den Anzeigen hinterher.

Mit der Lancierung der Stilbeilage in der NZZaS haben Sie vermutlich das Anzeigegeschäft der NZZ gerettet, da dadurch viele neue Anzeigekunden angesprochen wurden…

Die Stilbeilage hat in einer kritischen Phase des Medienwandels sicher dazu beigetragen, neue Potenziale zu erschliessen und ein paar Arbeitsplätze zu sichern – die Luxusbeilage ‚Z‘ noch mehr, auch wenn ich diese aus heutiger Sicht als altmodisch und renovierungsbedürftig anschaue. Der Erfolg des Titels war aber nicht mein alleiniger Verdienst, sondern ein kollektives Gelingen, das war ein zehnköpfiges Team und ein umsichtiger Chefredaktor. Und ich weiss, dass man noch viel mehr aus diesem Know-how hätte machen können, wäre die Verkaufsabteilung des Verlags nicht so ein talentarmer Laden.

Wie wichtig sind solche Beilagen im kriselnden Printmediengeschäft?

Die Luxusbeilage ‚Z‘ war und ist meines Wissens das profitabelste ‚Tool‘ im Werkzeugkasten des Verlags. Darum wird es nicht mehr renoviert oder verändert. Die haben Angst, damit ihren letzten grossen Erfolg im Anzeigenmarkt zu gefährden. Das wird sich vielleicht noch rächen.

Nach über zehn Jahren als Ressortleiter Stil bei der NZZ machten Sie sich selbständig. Sind Ihnen die Ratschläge ausgegangen?

Der NZZ war der Mut, weiter in Ideen zu investieren, abhanden gekommen. Es gab dort keinen weiteren Raum, sich zu entwickeln, da der Verlag zu sehr mit dem  Struktur- und Nutzerwandel beschäftigt ist. Ich hätte noch Dutzende guter neuer Ideen gehabt, davon haben wir auch etliche  durchgerechnet und startklar gemacht, aber keiner wollte sie mehr hören. Es ging nur noch um sofortige Rendite, sogar beim Männermagazin ‚Gentlemen’s Report‘, das gut gestartet war. Also habe ich andere Perspektiven geprüft und gefunden.

Mehr als zehn Jahre nach der Lancierung der Stilbeilage: Haben die Schweizer mehr Stil heute?

Ich würde es gerne hoffen! Doch die Arbeit am Stil hört nie auf, es ist ein lebenslanger Prozess.

Wer pflegt den besseren Stil, Deutschweizer, Romands oder Tessiner?

Das ist heute alles eine einzige grosse, graue Suppe geworden, weil die Menschen in allen Landesteilen denselben wertlosen Billigmassenplunder kaufen und anziehen. Ich sehe höchstens noch graduelle Unterschiede, würde aber für keinen Landesteil meine Hand erheben wollen.

Was war die grösste Modesünde, die sie in jüngster Zeit beobachtet haben?

Ich mochte grobe Absätze nie. Wuchtige Plateausohlen an Pumps sind genauso grässlich wie dicke Gummipuffer unter Sneakers. Sie lassen Menschen plumper wirken und gehen, wie wenn sie ein Hüftleiden hätten.

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