Eine Nostalgie-Fahrt auf den Spuren der Kindheit im Volvo-Kombi – von der Schweiz nach Südholland und zurück.
Früher war keineswegs alles besser. Vor allem die Autos nicht – sie stanken und waren teilweise richtig gefährlich. Einige der Autos von damals – mein Erinnerungshorizont beginnt in den mittleren siebziger Jahren – waren aber bereits recht gut. Sie waren sogar besser als der Rest. Das betrifft etwa die Fahrzeuge der schwedischen Marke Volvo, die immer schon Avantgardisten waren, was Themen wie Sicherheit, Langlebigkeit und praktischen Nutzwert von Autos betrifft. Volvo fuhren die Nerds und Querdenker, die Modernisten und arrivierten Hippies.
Meine Eltern hatten damals verschiedene Volvo-Kombis, immer die Modelle mit einer dritten Sitzreihe. Diese war dringend nötig, denn sie hatten in einem Hormonrausch zwischen 1963 und 1973 sechs Kinder auf die Welt gestellt. Papa fuhr also zuerst einen Volvo 145 (produziert von 1967 bis 1974) in Kanariengelb, Reihenvierzylinder mit 1782 cm3 Hubraum und etwas über 100 PS. Damit war man gut unterwegs. Später war es ein Volvo 245 Kombi, in Knallorange (das Modell wurde von 1975 bis 1990 gefertigt). Diese Autos, meist das exklusive Sondermodell 240 Superclassic, fahren bis heute herum und sind phänomenale Raumwunder. Sie gelten laut Fachleuten «als Legende in der Historie des schwedischen Automobilbaus» (Zitat classic-autos.ch).

Der erste Volvo-Kombi, ein 145er – das Foto ist aus 1973, die sechsköpfige Kinderschar war fast komplett, der zweitjüngste liegt schon im Kinderwagen.
Platz hatte man in den alten Volvo-Kombis genug. Aber: Längere Reisen mit einer achtköpfigen Familie waren trotzdem logistische Kraftakte. Vor allem, wenn es über 850 Kilometer Distanz an die holländische Küste ging, und das taten wir in der Regel zwei Mal im Jahr. Papa packte am Vorabend alle Koffer in Plastikfolie, diese wurden auf dem Dachträger festgezurrt oder im Anhänger verstaut, Mama richtete Kühlboxen mit Getränken, Sandwiches und anderem – und die Kids wetzten die Messer, denn während der Fahrt via Stuttgart, Heilbronn, Speyer, Koblenz und Aachen wurden auf den hinteren Reihen auf engstem Raum teils handgreifliche Abrechnungen geführt.
Vorne links versuchte Papa sich auf den Verkehr zu konzentrieren, rechts verteilte Mama den Proviant, und hinten schlugen sich fünf Jungs und eine Schwester die Köpfe ein. Kein Wunder, denn wir futterten sackweise Sugus-Bonbons und Traubenzucker. Vorteilhaft war es, ganz hinten zu sitzen, denn dort konnte Mama einen nicht so gut kontrollieren. Um die Bande etwas zu temperieren, hatte Mama einmal die gloriose Idee, allen Kindern eine kleine Tröte zu geben, um darauf quäkende Melodien zu spielen. Die Instrumente wurden noch vor Stuttgart von Papa eingesammelt und vorne im Handschuhfach eingeschlossen. Stattdessen wurden Papierblöcke und Stifte verteilt – der Auftrag lautete: vorbeifahrende Autos nach Farben und Marken auflisten. Dann war eine Weile Ruhe.
Unterwegs hielten wir in der Regel etwa vier Mal an – irgend einer musste ja immer Pipi. Zweimal davon wurde das Auto vollgetankt, denn die grossen Volvos hatten derart vollgepackt ordentlich Durst. Auf den Rastplätzen war es jeweils eine ziemliche Show, wenn die grosse Truppe aus dem Auto kroch und sich streckte – und erst recht am Ziel in Südholland, wo uns die Grosstanten vor dem Ferienhäuschen schon erwarteten und sich darüber wunderten, welche aufgestauten Aggressionen sich nach der langen Fahrt entluden, bevor die Verwandtschaft pflichtschuldig begrüsst wurde.
Die langen Familien-Volvos haben sich also unauslöschlich als Teil meiner Kindheit ins Gedächtnis gebrannt – sie gehören fest zum Erinnerungsschatz an die vordigitale Zeit des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Die schwedische Marke ist mir seither immer sympathisch und vertraut geblieben, auch wenn Papa ab etwa 1987 auf die noch geräumigeren CX-Modelle von Citroën wechselte. Sie waren auch prima, aber hatten nicht den stabilen Charakter eines Volvo.
Und so war es nun, über dreissig Jahre nach der letzten gemeinsamen langen Volvo-Fahrt nach Holland, wieder einmal an der Zeit, so eine Reise zu tun. Dank des grosszügigen Supports von Volvo Schweiz bekamen wir Mitte Mai einen brandneuen Volvo V60 D4 AWD im R-Design (ab 54’600 Franken) – er wird als «vielseitiger Familienkombi» der sportlichen Art vermarktet. Eine dritte Sitzreihe hat das Auto allerdings nicht – diese sind heute nicht mehr nötig, die Familien sind heute kleiner, entsprechend geräumiger und luxuriöser fällt die Innenausstattung aus. Und noch etwas war dieses Mal anders: Mama sass nicht mehr vorne, sondern auf der Rückbank. Papa fuhr als guter Geist mit und schaute von oben herab zu, dass wir sicher unterwegs waren – er ist im Februar 2018 verstorben.
Die Fahrt mit dem neuen Volvo V60 war – verglichen mit früher! – ein Klacks. Das Gepäck dreier Personen passte leicht in 529 Liter grossen Gepäckraum hinter der Rücklehne, einen Dachträger oder gar Anhänger kann man sich sparen. Ausserdem fährt das Auto fast von selbst: Es ist hellwach und aktiv mit von der Partie, wenn man über die inzwischen brechend vollen deutschen Autobahnen Richtung Nordwesten brettert. Der Spurhalte-Assistent («Run-off Road Mitigation») steuert mit, wenn man nicht brav in der Bahn bleibt, der Tempomat bremst selbständig, falls sich vorne unerwartet etwas verlangsamt. Alles, was man tun muss, ist Tempo und Abstand einstellen, dann fliegt das Gerät praktisch alleine (Volvo nennt es «Pilot Assist»). Gänge schalten braucht man natürlich auch nicht mehr, und tanken tut man noch einmal auf der ganzen Strecke, nämlich zu Beginn, und dann reicht es auch bis zum Ziel. Dort angekommen parkt man dank 360°-Rundum-Kameras sorgenlos auch in die kleinste Lücke.
Der geschmeidige, aber doch etwas konventionelle Dieselmotor mit Ad-Blue-Support war jetzt nicht das Nonplusultra der Modernität, ein Hybrid oder auch elektrisch wäre jetzt auch mal schön, aber nun gut: So etwas will das Volk, also liefert Volvo es. Man wäre ein undankbares Schwein, diesen Motor zu bemäkeln, denn er ist zusammen mit dem Getriebe fein abgestimmt und hat viel Zug, obwohl das Aggregat nur bescheidene vier Zylinderchen hat. Und man weiss ja, dass es den V60 T8 auch als Twin-Engine-Hybrid gibt. Und man hat im Hinterkopf, dass Volvo vor einem Jahr versprochen hat, dass die Zukunft elektrisch sein wird.
Gut ausgesehen haben wir in dem schicken Auto auf jeden Fall – auch wenn wir alle seit den Tagen des Volvo 245 deutlich älter geworden sind. Macht nix, das schnittige Design des Volvo V60 wirkt dafür umso frischer: Auf der Raststätte schlichen sogar ein paar fernfahrende Polen neugierig um das Auto! Was Mama neben den bequemen Ledersitzen und dem beeindruckenden Sound aus der Bowers-&-Wilkins-Anlage mit 15 Lautsprechern super fand: Das Panoramadach, das sich fast über die ganze Länge des Fahrgastraums erstreckt und durch das Papa uns auf der Fahrt gut sehen konnte. Er hat seine schützende Hand auf uns gelegt und sich mit uns gefreut, dass gewisse Dinge, die schon immer gut waren, offenbar noch besser geworden sind.