Sonntagsoutfit: Madeleine Rusch, Gonten

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Am Sonntag, 1. November 2015 – die Katholiken kennen den Tag auch als „Allerheiligen“ – ist eine meiner bisherigen Lieblingsfolgen der Serie „Sonntagsoutfit“ im Stil-Heft der „NZZ am Sonntag“ erschienen. Sie zeigt Madeleine Rusch, eine junge Appenzellerin aus Gonten, die wir in der typischen Appenzeller Werktagstracht an der Olma (Ostschweizer Landwirtschaft- und Maschinen-Ausstellung) in St. Gallen trafen. Dass sie aus Gonten war, fanden wir natürlich toll, denn aus Gonten kommen unsere liebsten langjährigen Freunde.

Madeleine Rusch war wirklich phänomenal – sie posierte, nach anfänglicher Widerrede, geduldig und völlig in sich ruhend an vier verschiedenen Orten, bevor wir sie schliesslich vor einer rostigen Wand auf einer Treppe in Idealumgebung im Kasten hatten. Es war sehr schwer, an dieser wirklich unästhetischen Messe auch nur einen Winkel zu finden, der als schmeichelhafter Hintergrund funktionierte. Alles war komplett verstellt. Eine Schlüsselerkenntnis war natürlich auch Madeleines standhafte Weigerung, irgendwelche Posen für uns zu reissen – charakterstark! So eine Tracht braucht wirklich Rückgrat.

Version 2

Hier ist der Text:

Eine Tracht verändert den Menschen – nicht nur optisch, sondern auch punkto Haltung und Bewegung. Madeleine Rusch steht mit beiden Beinen im Leben.

Trachten sind gerade in Mode. Die meisten nähern sich dem Thema es auf die oberflächlich-flotte Art, indem sie sich für ein Bierfest ein Dirndl oder Lederhosen anziehen – made for Bayern, genäht in China. Kaum jemand macht sich die Mühe, sich mit Bedeutung und Geschichte der Tracht auseinanderzusetzen – und dann, wenn man reif dafür ist, sich eine eigene schneidern lassen.

Madeleine Rusch, 26, Bankangestellte aus Gonten in Appenzell Innerrhoden, ist in einem Umfeld aufgewachsen, indem Trachten noch zur lebendigen Tradition gehören. Sie hat als Kind die farbenfrohen Alpaufzüge bewundert. Doch als sie selber erwachsen wurde, wollte sie sich erst davon distanzieren. „Es gab schon Phasen im Leben, in denen ich die Tracht von gestern fand, aber jetzt gefällt sie mir und ich trage sie mit Stolz“, sagt Rusch, als wir sie an einem trüben Sonntagmittag auf der Olma in St. Gallen treffen.

Man ist ein bisschen eingepackt, aber es fühlt sich angenehm an

Die Appenzeller Werktagstracht von Madeleine Rusch besteht aus einem weissen Baumwoll-„Stotzeli“ mit Schleifen an den Ärmeln, einem weissen Unterrock, einem roten Faltenrock, einer darüber getragenen Schürze und dem „Mueder“ (Mieder) mit den silbernen Schmuckketten sowie dem reich bestickten „Brustblätz“. Dazu trägt sie handgehäkelte weisse Socken, schwarze Trachtenschuhe, eine Halskette mit Nackenschloss, Brosche und Ohrhänger mit roten Gemmen und eine einfache schwarze Beuteltasche mit Holzgriffen. Alles ist von Hand in Appenzell gemacht. „Es kostet ein paar Franken, aber es hält auch lange. So kann ich das Mueder auch enger oder weiter schnüren. Das ist sehr praktisch, wenn man sich im Laufe des Lebens verändert.“

Madeleine Rusch trägt die Werktagstracht an einem Sonntag, weil sie am Stand der Goba Mineralquelle im Einsatz war. Die Sonntagstracht dürfte man nicht zum arbeiten anziehen. „Ausserdem habe ich noch keine eigene“, sagt die aparte Kurzhaarige. Apropos Frisur: „Früher wäre das gar nicht gegangen“, weiss Madeleine Rusch. Frauen und Mädchen mussten grundsätzlich lange Haare und Zöpfe haben. Sie hätte es mit ihren kurzen Haaren zuerst „au fascht nüd töfe woge“, aber die Reaktionen von Familie und Freunden waren gut, auch das Publikum auf der Olma macht der jungen Frau Komplimente. Und die jungen Männer gucken sich die Augen aus dem Kopf. „Man ist ein bisschen eingepackt, aber es fühlt sich angenehm an“, lacht Rusch.

In der Tat: die junge Frau scheint förmlich in ihrer Kleidung zu ruhen, wie wir mitten auf dem Festgelände der Ostschweizer Bauernmesse Fotos von ihr machen. Sie steht da wie eine Statue, jedes Bild ist ein Treffer. Als wir sie bitten, doch mal die Beine lässig zu überkreuzen (typische Street-Style-Pose), lehnt sie jedoch bestimmt ab: Das passe nicht zu dieser Kleidung, findet Madeleine. Sie hat Recht – eine Tracht hat gar nichts mit Mode zu tun.

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