We catch a glimpse

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An eine Fashion Week zu fahren und dort sechs bis zehn Modenschauen pro Tag zu sehen mag wie ein Traumjob aussehen, und verglichen mit dem, was einem im Leben sonst so an Mühsal widerfahren könnte, ist es das wohl auch. Doch die Realität dieses Jobs ist für die allermeisten, die dabei sind, nicht die, welche einem im TV dargeboten wird: Mit Limousinen vom einen Designer-Showroom zum nächsten fahren, Champagner nippen, aus der ersten Reihe ein paar Silhouetten gucken und ein bisschen smalltalken.

Für die meisten ist es eine Fashion-Week ein umständliches Zick-zack-Gehetze von A nach B, mit einem wilden Mix aus öffentlichem Verkehr, langen Fussmärschen und waghalsigen Fahrradstrecken, mit viel Stehen und Warten, richtig schweren Durst empfinden, im Gedränge nach drinnen und wieder raus schieben und immer ein bisschen lamentieren. Über die Kollektionen, die man eben gesehen hat, über die schlechten Sitzplätze, über die Kollegen, welche bessere Karten haben. Bitching around, nichts machen Modeleute lieber.

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Trotzdem nacht man es jede Saison wieder. Einerseits, weil man die Information und den Impuls braucht. Man sieht ja nicht nur die Kollektionen (wenn man sie denn wirklich sieht, doch dazu später), sondern bekommt auch eine Menge Zusatzinformation zur Saison, von der man dann wieder ein halbes Jahr zehrt. Andererseits sind auch viele der Anwesenden vor allem dort, um Marktanteile am Anzeigen-Geschäft zu sichern. Man macht die Aufwartung, weil man sich nur so der Aufmerksamkeit und Zuwendung der Brands gewiss sein kann. Wer Inserate will, muss anstehen. Und schliesslich ist so eine Fashion Week auch immer ein bisschen eine interne Ausmarchung beim Mode-Volk: Wer sitzt wo, neben wem – und wer ist nach hinten zurückgefallen?

Die Blocks und Sitzplätze an einer Modenschau werden streng hierarchisch eingeteilt. Der Block, der den besten Blick auf den Laufsteg hat, geht an die grossen internationalen Blätter und Verlagshäuser, vorallem aus den USA und Asien. Dazu gehören die meisten Titel der Condé-Nast-Gruppe, Style.com ist immer dabei, natürlich auch Hearst, ausserdem sitzen dort die eingeladenen Prominenten. Dahinter ihre persönlichen Assistenten und besten Freunde, weiter hinten die jüngeren Kollegen vom Online-Dienst usw. usf. Die anderen Blocks werden nach Regionen zwischen Presse und Einkäufern aufgeteilt, wobei die Schweiz meist unter „diverse Länder“ mit osteuropäischen Republiken, Skandinavien oder asiatischen Kleinstaaten zusammengefasst wird. Vorne sitzen dann die Chefredaktoren, dahinter die Fashion Directors und Stylisten, ab Reihe 3 die Schreiber, ganz hinten die Freelancer. Je Text, umso hinten – einfache Faustregel.

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Vorne zu sitzen ist gewissermassen auch eine Verpflichtung zur Nettigkeit: Man ist privilegiert, und nur ein echter Charakterlump würde dies erwidern, indem er nach der Show kritische Kommentare zur Kollektion abgeben würde. Hinten sitzen also die, die sich artikulieren. Wer viel kritisiert, rückt mit der Zeit immer weiter nach hinten, bis zu dem Tag, an dem man einfach gar keine Einladung von dem betreffenden Designer bekommt. Diese „Ehre“ ist mir verschiedentlich zu Teil geworden, etwa bei Dolce & Gabbana, Gucci, D-Squared oder Armani. So what, es gibt ja anderes, das man sehen kann. Ausserdem ist es auch vergnüglich und effizient, statt Schauen die Showrooms zu besuchen: Dort leidet man keinen Durst, ist schnell wieder an der frischen Luft und kann im Idealfall sogar noch einen Schwatz mit dem Designer oder Markenverantwortlichen machen.

Vom Sonntag bleibt also einiges in Erinnerung: Bottega Veneta – wieder einmal meisterhaft, so möchte man durchs Leben gehen … wir haben bereits darüber berichtet (HIER geht’s zum ersten Teil der Mailand-Reportage, bitte). Dann war ich bei Caruso im Showroom … ich mag diesen eleganten Papagallo-Style, den Umberto Angeloni dort predigt. Den Pulli mit dem selbstbewussten Italo-Slogan möchte man doch sogleich haben?

 

Dann hatte ich das Vergnügen, Salvatore Ferragamo zu sehen – also zumindest das, was aus Reihe 5 noch zu sehen ist (von der Hüfte an aufwärts). Es waren viele schöne Mäntel dabei, mit Blumen bemaltes Leder, und wuchtige Strickschals, die für eine gewisse Wildheit sorgten. Die Bilder sind aufgrund der Dunkelheit im Saal kaum brauchbar, geben aber dennoch einigermassen den Look wieder.

 

Auch bei Calvin Klein (vierte Sitzreihe) sah man nicht viel, konnte aber doch immerhin erkennen, dass Designer Italo Zucchelli seinem Ideal eines leicht düster wirkenden Muskelmännchens mit wuchtigen Schultern und Oberarmen treu bleibt. Die Jäckchen waren ultrakurz, Farbe fehlte weitgehend. Wiederum eine Menge Mäntel – der wird für Herbst 2015 richtig wichtig.

 

Bei Prada sass man in einer raumschiff-artigen Kunstwelt aus Ovalen zwar recht angenehm und mit einem direkten Blick auf den Laufsteg, allerdings schossen die Models mit einem derartigen Affenzahn durch die Gänge, dass man kaum realisierte, was sie trugen. Es war vor allem schwarz und grau, und für Männer wie Frauen etwa gleich geschnitten. Die Zukunft ist unisex und farblos und kommt ultraschnell auf Sportsohlen daher.

 

Am besten gefallen hat mir – rein von der modischen Aussage her – die Show von Missoni, wo ich, in dritter Reihe an einer Ecke des Blocks D sitzend, doch immerhin einen guten Von-Kopf-bis-Fuss-Blick auf den „turning point“ des Catwalks erhaschen konnte, wo die Models kurz halten und umdrehen. Diese Muster, die Weichheit, der Strick, das scheint mir versöhnlich in einer Welt, die immer verrückter scheint.

 

In gesunder, heiterer Weise verrückt ist auch Thom Browne, der für den Daunenjacken-Hersteller Moncler immer spannende Mode-Theaterstücke inszeniert. Dieses Mal marschierte in einem mickrigen künstlichen Birkenwäldchen eine Armee wattierter Herren mit Schutzbrillen auf, zog die Daunenjacken aus, drehte ein paar Runden in einer Art verjuxter Jockey-Kleidung mit Rauten und Karos, während dazu dramatische Opernmusik aus den Lautsprechern dröhnte. Erfrischend, anders, bewusstseinserweiternd!

 

Erwähnt werden sollten hier auch noch die Showroom-Präsentationen von Bally und Tod’s, wo es vor allem – aber nicht ausschliesslich – um Schuhe ging. Bei Bally will man sich (wieder einmal) auf die grosse Geschichte besinnen und das Know-how in Sachen Schuhmacherei akzentuieren, während Tod’s immer mehr Richtung super-exklusiver Total-Looks driftet.

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