We explain ourselves

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Immer wieder werde ich gefragt: Wie wird man das, was Du bist – Stilexperte? Kann man das irgendwo lernen? Bestimmt einmal pro Woche gebe ich dazu Auskunft, einmal im Monat auch als Interview. Daher – also „by public demand“ – diese kleine Selbstdeklaration.

Ich wusste lange nicht, dass es diesen Beruf überhaupt gibt, und ich habe diese Rolle auch nicht bewusst gesucht, sie ist mir irgendwie „zugefallen“. Ursprünglich habe ich Modedesign an der Schule für Gestaltung Zürich (heute Hochschule der Künste) studiert, doch nach dem Studium hat mich mein Weg relativ bald in die Welt der Medien geführt. Übers Lokalradio kam ich zu dem Modezeitschriften und habe mich seither als schreibendes Stilorakel profiliert, vor allem auch während der letzten zehn Jahre bei der NZZ.

Ich denke heute: Vielleicht muss man, um Stilexperte zu werden, einfach frech genug sein, seine Meinung zu sagen. Viele Menschen haben keine eigene Meinung und sind froh, wenn jemand für sie die Entscheidungen trifft. Meine Aufgabe besteht heute im Wesentlichen darin, das Zeitgeschehen zu verfolgen, einzuordnen und zu kommentieren. Die Leute wollen immer wissen, ob dieses oder jenes nun gut und richtig ist – oder eben nicht. Und weil ich in ästhetischen Dingen ein gutes Sensorium habe, kann ich den Leuten helfen, diese Entscheidungen zu treffen.

Das Ganze wäre nicht verdaubar oder zu ertragen, wenn es nicht mit einem guten Schuss Selbstironie und Humor getan würde. Ich sage also gerne, dass ich eine Art Kombination aus „ästhetischem Volkserzieher“ und Pausenclown bin: Education trifft Entertainment, etwa im Verhältnis 60:40. Ich bin zwar kein Witzeschreiber und kein Kabarettist, sondern meine durchaus ernst, was ich sage. Aber ich bin auch kein Fundamentalist und Dogmatiker, der abweichende Meinungen ablehnen würde. Stil ist keine reine Lehre. Jeder darf es nach seinem Gutdünken interpretieren. Und auch mir scheint: Es geht immer mehr um Individualität und Optionen, und weniger um Dos & Don’ts.

Was es dazu braucht, um den modischen Stil einordnen zu können, werde ich auch gerne gefragt. Man muss seinen Blick über die Schweizer Landesgrenzen hinaus richten und idealerweise wirklich Sachverstand von der Materie haben, also wissen, wie etwas gemacht ist. Man sollte die Geschichte der Mode kennen, um den Neuigkeitswert einer Idee einschätzen zu können. Und dann gilt: Augen auf, Ohren auf und jeden Tag filtern, filtern und filtern. Man arbeitet wie ein Destillierkolben: Viel aufnehmen, einkochen und den reinen Geist wieder ausspucken.

Wo man seine Informationen bekommt? Man liest Wochenzeitungen, ausgesuchte Zeitschriften, Webseiten oder Blogs und hört Radio. Nur das Fernsehen benutze ich nie als Quelle, es geht zu wenig in die Tiefe. Online-Medien sind immer spannender. Ich finde es toll, dass sich die Rezeption und Bewertung von Zeitgeschehen durch diese digitalen Kanäle demokratisiert hat. Und es ist nötig, denn die klassischen Mode-Magazine haben ein unanständiges System der Abhängigkeiten mit den Anzeigentreibenden etabliert. Sie berichten heute kaum mehr über das, was aus Sicht von Stil und Zeitgeist wichtig ist, sondern sind nur noch Willensvollstrecker der Werbeindustrie. Die Leute haben das längst gemerkt. Höchste Zeit also, dass neue Formate die Deutungshoheit übernehmen!

So, damit das auch mal gesagt sei. Man möge mir – je nach eigenem Standpunkt – beipflichten oder mir die kleine Standpauke übel nehmen.

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