We walk the Zurich catwalk

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Am vergangenen Montag zum ersten Mal das Zürcher Sechseläuten aus der Innenperspektive – als Gast der Zunft Riesbach – erleben dürfen und die Route durch die Innenstadt mit den 26 Zünften abgeschritten. Ein äusserst lebendiges Volksfest des ‚Zürcher Filzes‘, sehr eindrücklich. Es regnete zwar unablässlich, was laut Auskunft der Habitués dem Umzug nicht gut tat. Aber der Variantenreichtum an Trachten und Kostümen ist beeindruckend, und das Steh- und Trinkvermögen der Herren, die sich von 11 bis 04 Uhr den Tag, den Mittag, den Abend und die Nacht im Namen des Gemeinsinns um die Ohren schlagen, ist nicht weniger stupend.

1. Akt: Das Fest mit Ehrengästen auf der Stube ‚Zum grünen Glas‘

Der erste Teil des Sechseläutens beginnt schon um halb elf morgens, wenn sich die Herren Zünfter in ihren Zunfthäusern besammeln und mit einem ersten Gläschen Weisswein in Stimmung bringen, um anschliessend ein Viergang-Menu zu geniessen, das sich bis nach 15 Uhr erstreckt … Dazwischen sprechen der Zunftmeister (im Falle von Riesbach der beredte und amüsante Nils Walt) und seine Ehrengäste. Dies waren 2014 bei der Zunft Riesbach Nadja Schildknecht vom Zürich Film Festival, die Tessiner Entertainerin und Ex-Miss Christa Rigozzi, Filmemacher Michael Steiner und Starkoch Ivo Adam.

 

Nach dem Essen begibt sich die gesamt Zunft samt Zunftmusik raus auf die Strasse, um sich für den Umzug bereitzustellen. Dieser Teil des Sechseläuten ist für Logistiker sicher der faszinierendste, denn es bedarf unglaublicher Vorbereitung, nicht nur den eigenen Zug, sondern alle 26 Züge rechtzeitig und in richtiger Reihenfolge in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs einzureihen, bevor der Marsch der Zünfte beginnt. Das Einreihen der Zünfte bietet gute Gelegenheit, die textile Vielfalt der Trachten zu studieren!

 

2. Akt: Der Zug der Zünfte durch die Zürcher Innenstadt

Der Zug der Zünfte beginnt an der unteren Bahnhofstrasse, geht hoch bis zur Nationalbank am Bürkliplatz, geht dann in einem Kontermarsch runter bis zur Rudolf-Brun-Brücke und anschliessend das Limmatquai hoch bis zum Sechseläutenplatz, wo der Böögg auf dem Scheiterhaufen steht. Der Zug beginnt für jene Zünfte, die vorne laufen, schon früh – wer das Pech hat, weiter hinten zu starten (dieses Jahr erwischte das Los die Zunft Riesbach auf Platz 23 von 26) der stapft dann vor halbleeren Rängen durch den Kot von etwa 400 Pferden, die schon die Route abgetippelt haben …

 

3. Akt: Das Verbrennen des Bööggs auf dem Sechseläutenplatz

Aus der Aussensicht ist das Sechseläuten ein Bratwurst-Fest und wird auch mal abschätzig ‚Zürcher Bonzen-Fasnacht‘ genannt … Aus der Innensicht ist es ein liebenswertes, traditionsreiches Fest des Zürcher Familien- und Business-Kitts. Was sich zum Ende des Umzugs auf dem Sechseläutenplatz beim Böögg trifft, ist nicht weniger als die gesammelte Zürcher Wirtschaftselite sowie eine Menge hochrangiger Prominenz. Die Security-Massnahmen sind angesichts dieses Aufmarsches  erstaunlich locker, was viel vom Reiz des Festes ausmacht. Um punkt sechs Uhr wird der Holzstapel, auf dem der mit Böllern gefüllte weisse Böögg steht, angezündet. Dieses Jahr musste des vielen Regens wegen mit einer Menge Brandbeschleuniger nachgeholfen werden – mit Erfolg, denn die Flammen erreichten den Kopf des Bööggs schon nach knapp sieben Minuten, der nach 7:23 min unter viel Getöse detonierte, während die Pferde den Schneemann umritten. Es soll einen guten Sommer geben!

 

4. bis 7. Akt (ohne Bilder)

Es folgten noch ein vierter, fünfter, sechster und siebter Akt – Rückmarsch in die Stube, Abendessen, Auszug des Harsts und Besuch anderer Zünfte, Rückzug ins ‚Grüne Glas‘ und anschliessender Besuch eines Saubannerzugs ab 02 Uhr morgens … aber davon sind keine brauchbaren Bilder mehr entstanden, weil die Nikon Df, mit der diese Reportage geschossen wurde, zur Schonung nach dem Bööggenverbrennen ins Hotelzimmer gebracht wurde. Ausserdem sind die Herren Zünfter mit zunehmender Dauer des Abends unwilliger, sich fotografisch ablichten zu lassen … Ton- und Videoaufnahmen der Reden sind gar nicht erlaubt. Soviel sei aber gesagt: Es bleibt sittsam und eloquent, aber das Niveau der Reden rutscht nach Mitternacht etwas tiefer ab.

Nachtrag vom 5.5.2014: Den Zünftern muss mein ’schonungsloser‘ Tatsachenbericht entsprochen haben, denn sie haben meinen Report auf ihrer Website verlinkt. HIER ist die Zunft zu erleben.

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