We have seen Suburbia

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Bonjour Modevolk, heute ein heiterer Bericht der rustikalen Sorte, denn am Dienstag, 1. April war Mode-Feldforschung der gründlichen Art angesagt – der Stilonkel trieb sich einen Tag lang in einer typischen Schweizer Vorstadt herum, genauer gesagt: in Ostermundigen bei Bern. Grund für die Recherchereise war das Wochenprogramm ‚SRF 3 macht Agglo‘ unseres stets geschätzten ‚Haussenders‘ SRF 3. Der grössere Kontext hierzu ist HIER nachzulesen.

Also, Ostermundigen. Was soll man dazu sagen? Der unnachahmliche Wortakrobat Robin Alder von SRF 3 hat es sehr treffend beschrieben: ‚Da ist der Mitvierziger im ärmellosen Shirt. In seinen Händen zerbröselt eine selbergedrehte Zigi und der Vorsatz, den ersten Aperitif bis zum Mittag hinauszuzögern. Sein Töffli steht nur darum nicht im Parkverbot, weil gerade weit und breit kein Parkverbotsschild zu sehen ist.‘

Was wir sahen: Anders als viele andere Schweizer Suburbia-Moloche verfügt der Vorort von Bern noch nicht einmal über ein adäquates Ortszentrum. Man könnte sagen, der Bären (Hotel/Gasthof) war es einmal, doch an dem verkehrsreichen Kreisel beim Bahnhof wird demnächst, so der Gemeindepräsident mit diesem Ansinnen durchkommt, ein 100-Meter-Hochhaus entstehen. Ostermundigen sucht also nach einem Zentrum.

Was es aber gibt, ist die Bernstrasse, die den Ort der Länge nach durchzieht und an der alles aufgereiht ist, was Relevanz hat. Oder zumindest: was überlebt hat. Denn wie in allen grösseren Agglomeration zerstört der Sog der nahen grösseren Stadt (Bern) hier viel Mikroklima. Was übrig bleibt, sind Bestatter, ein paar Blumenläden, eine Unzahl Friseurgeschäfte, Hörgeräte- und Brillenspezialisten, Kebab-Fressbuden, eine Handvoll Pizzerias und Tankstellen – sowie exakt zwei Modeläden.

Der eine Modeladen heisst Mode Jller und ist seit Ewigkeiten am Platz, in einem seelenlos-hässlichen Mittelhochhaus in der Mitte des Ortes. Der Laden ist mit Leuchtstoffröhren illuminiert, vollgepflastert mit Markenshops von wenig wegweisenden deutschen Pseudomarken – und alles hängt stets in allen Grössen zum Kaufen bereit. Ein Lager gibt es nicht, der Laden funktioniert nach dem WYSIWYG-Prinzip ‚what you see is what you get‘. Es gibt viel bunte, oft synthetische Mode in grossen Grössen, für nicht mehr ganz junge Damen. Die Männermode hat man vor zwei Jahren aufgegeben (auf Berndeutsch: ‚usegschosse‘), weil die Männer in der Agglo einfach nicht kaufen wollten. Das Logo und die Visitenkarte des Ladens verheisst allerdings noch immer grosszügig Mode für beide Geschlechter.

Die Tatsache, dass Jller die Männer gestrichen hat, bietet dann auch eine gute Existenzgrundlage für den anderen Modeladen in Ostermundigen, den Men’s Shop, auch an der Bernstrasse. Auch nichts zeitgemässes, was dort hängt, aber immerhin: Die paar Männer, die noch Klamotten benötigen, werden dort fündig. Und Frau Mütschart ist ein Herz von einer Fachfrau, die vor 40 Jahren ihr Handwerk bei Ciolina in Bern gelernt hat und wirklich beherzt an die Arbeit geht. Sie erfasst im Nu die Proportionen eines Kunden und legt ihm  hilfsbereit Sachen bereit, die zu ihm passen.

So, das war’s auch schon. Wir haben ein bisschen Radio-Gaudi draus gemacht, teilweise auch ein bisschen auf Kosten der Betreiber dieser Läden, was natürlich immer ein bisschen schäbig ist. Andererseits muss man auch sagen: So hässlich und lebensfeindlich diese entseelten Vorstädte auch sind, so liebenswert und authentisch sind die Leute dort, wenn man sie anspricht. Als wollten sie sich mit ihrem ganzen Wesen für die Tristesse ihres Ortes entschuldigen. Und zum Trost sei auch gesagt: Schwamendingen, Münchenstein, Frauenfeld oder Gossau sind auch nicht schöner. Danke für die Gastfreundschaft an diesem Tag, Ostermundigen.

Hier noch ein paar weitere Links zu dem Agglo-Tag auf SRF 3:

http://www.srf.ch/radio-srf-3/srf-3-macht-agglo/stil-tipp-die-fashion-faultiere-aus-der-agglo

http://www.srf.ch/radio-srf-3/srf-3-macht-agglo/tom-gisler-in-agglo-gekleidet

 

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