Im Sommer dieses Jahres hatte ich das Vergnügen, mit Frédéric Tcheng zu telefonieren, dem Regisseur des Dokumentarfilms „Dior and I“, der das Debut des belgischen Designers Raf Simons bei Dior nacherzählte. Das Interview sollte in der „Neuen Zürcher Zeitung“ erscheinen, wurde dann aber nicht publiziert, weil die Zeitung gerade keinen Platz / kein Interesse an den Thema / keine Nerven für mich / keine Lust auf Mode hatte (zutreffendes bitte unterstreichen, ich habe selber keine brauchbare Antwort).
Inzwischen ist Raf Simons nach dreieinhalb Jahren bei Christian Dior aus dem Amt geschieden – er hat sich „nach reiflicher Überlegung und aus persönlichen Gründen“ entschieden, den Vertrag als Creative Director der Haute Couture und Damenmode von Christian Dior nicht zu verlängern. Die Nachricht ging auf die Welt – weil es natürlich schon extrem kühn ist, das höchste Hochamt der Mode aus freien Stücken abzugeben. Die entsprechende Pressemitteilung von Dior ist recht dürr und lässt viel Raum für Spekulation.
Raf Simons wird seine Entscheidung sicher gut überdacht haben. Über die möglichen Gründe wird seither viel diskutiert. Auch über eine mögliche Nachfolge. Der Designer hat sich bis dato nicht detaillierter über seine Motive ausgesprochen. Es gibt aber ein Interview, das er – vor dem Entscheid – dem Magazin „System“ gegeben hat, in dem er bekannte, dass das Pensum von sechs Kollektionen im Jahr ihn sehr belastete. „Mit sechs Schauen bleibt zu wenig Zeit für den ganzen kreativen Prozess“, sagte Raf Simons, „Technisch ist es zwar machbar, die Ateliers haben die Kapazität – aber es braucht auch Inkubationszeit für Ideen, und die fehlt.“ Auf dieses Interview bezieht sich auch die bisher beste Analyse des Falls, die von Cathy Horyn in „The Cut.“
Ich erinnere mich persönlich an eine Gespräch aus dem Jahre 2001, das ich damals in Antwerpen mit Raf Simons führte, kurz nachdem er seine Firma freiwillig liquidiert hatte, fünfzehn Mitarbeiter entliess und neu anfing. Es könnte Parallelen zu jetzt geben. „Ich hatte immer vor Augen gehabt, kreativ zu arbeiten und eine Kollektion zu entwerfen, wollte aber nie eine eigene Firma oder gar eine Produktion haben. Doch Produktion, Finanzierung und Vertrieb frassen meine ganze Zeit auf. Für mich stimmt das einfach nicht mehr, wenn man pro Mitarbeiter nicht einmal eine Viertelstunde Zeit pro Tag hat. Die letzten zwei Jahre vor dem Stopp war ich sogar richtiggehend unglücklich.“, sagt er damals. Für ihn war dies rückblickend „die beste Entscheidung meines Lebens – als ich aufgehört habe, bin ich erst einmal wirklich sechs Monate nur am Strand gelegen, gereist und habe auf Terrassen Menschen beobachtet. Das war richtig, denn dadurch kam das Gefühl für die Mode wieder zurück.“
Wer den Film „Dior an I“ von Fréderic Cheng im vergangenen Sommer gesehen hat, der weiss: Raf Simons hat sich mit aller Energie und Zeit dieser immensen Aufgabe bei Dior gestellt – und dies in knappster Zeit. Und doch hat die Liaison nicht von Dauer sein sollen. Vielleicht erhellen einige Passagen aus dem bisher nicht veröffentlichten Interview mit Frédéric Tcheng ein Stück weit die Beweggründe, die Raf Simons zu seinem Ausstieg bei Christian Dior gehabt haben könnte. Hier sind sie.
Monsieur Tcheng, Sie haben Raf Simons über drei Monate lang mit der Kamera begleitet und ihn auch in sehr intimen Momenten gefilmt, als er bei Christian Dior anfing. Kannten Sie sich schon vor dem Projekt?
Frédéric Tcheng: Nein, aber ich hatte eine Intuition, dass wir uns verstehen würden. Er ist reserviert und ruhig, aber ich dachte, dass wir zusammenpassen könnten. Also schrieb ich ihm einen Brief mit meinem Vorschlag. Ursprünglich sperrte er sich gegen die Idee. Raf wollte nicht gefilmt werden. Dann einigten wir uns darauf, dass ich ihn versuchsweise für eine Woche begleite.
Wo und wann trafen sie Raf Simons das erste Mal?
Ich sprang ins Flugzeug und traf Raf in dem Moment, als er zum ersten Mal dem Atelier von Christian Dior vorgestellt wurde. Diese Begegnung ist auch ein Ausgangspunkt für den Film. Raf war natürlich sehr gestresst in dem ersten Moment, doch diese Begegnung hat dem Film seine Dramaturgie gegeben. Der Film war ein Prozess. Er zeigt nicht nur, wie Raf die Firma Dior kennenlernte, sondern auch, wie wir Raf kennengelernt haben. Wir schälen wie bei einer Zwiebel die Schichten weg, um zum emotionalen Herzen vorzustossen.
Was verbindet sie heute mit Raf Simons?
Ich erkannte mich selbst in der grossen Herausforderung, der sich Raf stellte. Auch ich machte diesen Film alleine und auf eigene Faust. Wir waren beide vor eine ähnliche Aufgabe gestellt. Inzwischen kenne ich Raf sehr gut, doch ich bin noch immer überrascht, wie er sich weiterentwickelt. Jede Saison sieht seine Arbeit wieder anders aus.
Was ist Raf Simons für ein Zeitgenosse?
Rafs Welt ist total anders als andere. Er ist der ultimativ moderne Designer. Er arbeitet bevorzugt in grösseren Teams und lässt viele neuen Perspektiven zu. Ich hoffe, das mein Film dies zeigen kann. Das Problem mit der Mode und ihren Machern ist ja oft, dass sie oft falsch dargestellt werden. Gerade in Filmkreisen wird das Thema Mode nicht wirklich ernst genommen. Ich sehe das anders. Mode ist eine grosse Kunst – nicht einfach oberflächlicher Glamour und ein Haufen Celebrities auf dem roten Teppich.
Eine Nachbemerkung aus persönlicher Warte:
Ich kenne Raf Simons seit Mitte 2001, als ich ihn als jungen Designer erstmals in Antwerpen interviewte – damals für das Magazin „Bolero“. Im September 2001 erschien auch ein längerer Text über Raf Simons in der „Neuen Zürcher Zeitung“, den ich schrieb (und bereits erwähnte). Ich erinnere mich auch das Jahr 2003, als Raf Simons in Zürich den „Swiss Textiles Award“ gewann und es ihm dank dieser Unterstützung gelang, einen sehr schwierigen Moment in seiner Karriere zu meistern – er stand kurz vor dem Bankrott. Unter Freudentränen nahm er damals den Hauptpreis in der Lumag-Halle entgegen – mein Bericht hierzu ist immer noch online. Es war auch der Moment, als Raf Simons sein jahrelanges Versteckspiel aufgab und sich erstmals fotografieren liess. Auch damals haben wir miteinander gesprochen.
Ich hatte aus jener Zeit noch eine Handynummer von Raf, auf die ich vor wenigen Tagen eine Nachricht sandte: „Lieber Raf, ich weiss nicht, ob diese Nummer noch die Deine ist und Dich diese Nachricht überhaupt erreicht, aber ich möchte Dir meinen Respekt ausdrücken und hoffe, dass Du nach diesem Entscheid leichter bist.“ Tags darauf kam folgende Kurznachricht zurück: „Thank you x Raf“. Er hat immer noch dieselbe Nummer, wahrscheinlich sogar dasselbe Gerät, wie ich vermute.
stephan meyer
Wie unglaublich, die Geschichte mit der Telefonnummer.
Ich hoffe für Alber Elbaz, daß er NICHT zu Dior geht :-))