Mancipation

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Ich darf seit geraumer Zeit eine vierteljährliche Kolumne für das Magazin «Inside» des Schweizer Konfektionärs PKZ schreiben – mit der Firma verbindet mich ausserdem eine langjährige Zusammenarbeit im Bereich der Style-Coachings und Workshops (die im Moment corona-bedingt nicht stattfinden). Das Heft «Inside» ist mit einer Auflage von 418‘000 Exemplaren eine der auflagenstärksten Publikationen in der Schweiz und erreicht geschätzt eine Million Leser.

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In der neuen Frühlingsausgabe des Jahres 2021 geht es um den «neuen Mann» und seine Wesensart. Hier ist der Text, der von der «Emannzipation» des Mannes – oder eben der «Mancipation» – handelt.

1982 forderte die Sängerin Ina Deter: «Ich sprüh‘s auf jede Wand, neue Männer braucht das Land». Die Antwort kam schon 1984: «Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht, aussen hart und innen ganz weich«, erklärte Herbert Grönemeyer das «Nicht-aus-der Haut-Können» des neuen Mannes.

Alle wollen etwas von ihm – nur er weiss nicht, wie er es hinbekommen soll. Er zerfranst am Gezerre, das um sein Wesen veranstaltet wird. Armer Junge. «Für Männer bricht das Fundament ihrer Männlichkeit weg, über das sie sich jahrhundertelang und quasi selbstverständlich definiert hatten», beschreibt das Zukunftsinstitut die Wandlung vom Macho zum Softie.

Seither ist ordentlich etwas passiert. Die neuen Männer sind im Alltag angekommen. Aussen weich und innen ganz hart. Er ruht in sich selbst, ist «resilient» (widerstandsfähig) und «ein Stehaufmännchen, das sich aus jeder Lage wieder aufrichten kann», so die aktuelle Bestandesaufnahme des Zukunftsinstituts. «Neue Männer sind «partnerschaftlicher in der Beziehung, beteiligt sich mehr an Haus- und Familienarbeit, sind neue Väter, unterstützen ihre Partnerinnen in ihrer Berufstätigkeit und lehnen Gewalt als Mittel der Konfliktlösung in der Partnerschaft ab», so lehrt es das Online-Lexikon Wikipedia, wo «der neue Mann» sogar einen eigenen Eintrag hat.
Wenig bis gar nichts gesagt wird allerdings über die veränderte Optik des Mannes. Die Gender-Forschung, allen voran die Unterabteilung der «kritischen Männerforschung» (ja, das gibt’s!), hat das Wesen des zu klärenden Subjekts bis in düstere Ecken durchleuchtet – aber sagt kaum je etwas über seine Garderobe. Dabei wären die wesentlichen Parameter des Kleiderschranks einfach aus dem grösseren Kontext des Wesens des «neuen Mannes» abzuleiten:
ENTSPANNT. Sollen Sie doch schubsen und zerren – der neue Mann lehnt sich zurück, statt zurückzuschlagen. Das zeigt sich auch in der Silhouette: Sie ist frei von Härte, setzt auf Komfort und einen guten Schuss freizeitliches Flair. Klassische Business-Looks sind auf dem Rückzug, Smart Casual regiert den Kleiderschrank.
BEWUSST. Der neue Mann reflektiert, bevor er konsumiert. Weniger, dafür besser – ein Motto, das für Arbeitspensum und Sex gilt, darf auch fürs Outfit dienen. Wer seine Unterstützung bekommt, muss sich sein Vertrauen erarbeiten, darf dann aber auch auf Loyalität zählen.
RAFFINIERT. Natürlich kann der neu Mann argumentieren statt blaffen, tanzen statt stolpern, schlemmen statt fressen und ist bevorzugt belesen statt besoffen. Raffinesse zeigt er auch mit seiner Kleiderwahl: Edle Naturfasern, feine Webarten und komplexe Strukturen oder Muster gehören dazu.
GESCHMEIDIG. Sich anpassen, ohne sich zu verbiegen. Sich selbst sein und dennoch mit der Zeit gehen. Der neue Mann hat Antennen für den Zeitgeist. Das ist nicht rückgratlos, sondern flexibel, rücksichtsvoll und lässig. Ohne letzteres geht in Kleiderfragen ja derzeit gar nix.

 

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