Wir pandemischen Vollprofis

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Ein heisses neues Virus ist wie ein Paar cooler Schuhe: Von der Fashion Week bringt man in der Regel beides mit.

Wenn jetzt, wo es kühler wird und sich das Leben wieder in die Innenräume verlagert, bald wieder aufgeregt über die so-und-sovielte anrollende Covid-Welle geschrien und mit Nachdruck eine neue Impfung gefordert wird, lehnen wir Modemenschen uns instinktiv zurück, nehmen einen schönen Schluck vom Drink und sagen uns: Ach, hatten wir doch alles schon – und zwar schon  vor 2020! 

Ist doch wahr! Früher kehrte man vierteljährlich von den Messen und Fashion Weeks zurück – im Januar und Juni von der Pitti in Florenz, im April und Oktober aus Paris – und brachte garantiert immer die neuesten virologischen Trends mit nach Hause. Warum? Weill man sowohl auf Modemessen wie in den Zelten der grossen Modewochen mit Menschen aus aller Welt auf engstem Raum zusammengepfercht und zum Austausch aller möglicher Infektionen geradezu genötigt war. Das gehörte einfach dazu! 

Spätestens eine Woche nach der Rückkehr von diesen Events hatte man den schönsten chronischen Husten, die ergreifendste Schüttelfrost und eine neue Supergrippe, die einen gelb und blau anlaufen liess. Manchmal, wenn man etwa in London schon dabei war, ereilte einem solches auch schon gegen Ende der Mailänder Fashion Week, spätestens aber zur Dior-Schau in Paris. Den Rest der Woche verbrachte man dann … im Hotel? Nicht doch, man musste die Sache doch rechtzeitig noch dem nächsten Sitznachbar weitergeben!

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Auch andere Infekte wurden bei der Gelegenheit gerne getauscht – die allmorgendliche Prahlerei der Fashion-Week-Hengste, wo und mit wem die letzte Nacht zugebracht wurde, gehörte immer schon zum Smalltalk beim Warten auf die erste grosse Show des Tages. Nicht immer war einem am Tag darauf der Name des Spielkameraden noch bekannt, aber egal: Man hatte wieder ein Stück der grossen weiten Welt erobert und sein „Netzwerk“ erweitert.

Das war ganz normal. Vermutlich ist es das auch. Aber seit 2020 hat es einen neuen Namen bekommen: Super-Spreading. Zwischenzeitlich wurden die pandemie-beschleunigenden Aktivitäten der Modebranche also ganz eingestellt. Zu riskant. Doch nach zwei Jahren im Modus der Beklemmung ist der alte „courant normal“ zurück: Man sitzt dicht an dicht in überhitzten Event-Locations und tauscht munter die neuesten Must-haves der Infektiologie aus. Zwischenzeitlich hiess es: So wie damals wird es nie mehr sein. Doch jetzt weiss man: Kümmern tut das schon jetzt keinen mehr.

Gut oder schlecht? Vermutlich beides! So wie die Mode halt ist.

 

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