Some hints for the future of fashion

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Ich war diese Woche wieder einmal in Süddeutschland, genauer gesagt in Bodelshausen, zwischen Hechingen und Tübingen. Dort ist eines der renommiertesten und erfolgreichsten deutschen Mode-Unternehmen ansässig: Marc Cain. Der Grundstein zu dem, was man heute auch „Cain City“ oder „die weisse Stadt“ nennt, wurde 1973 gelegt. Helmut Schlotterer war ursprünglich Junior eines verschuldeten Strickereibetriebs und entschied sich früh, auch andere Formen von Kleidung anzubieten (hier kann man ein gutes Porträt über den Unternehmer nachlesen). Den Namen für die Firma lieh er sich bei einem Kumpel – er fand ihn besser geeignet als seinen eigenen. Schritt für Schritt hat er sich nach oben gearbeitet und das, was er verdiente, wieder in neue Technologie investiert (und in ein paar schöne Autos, die auch immer weiss sind). Von den Früchten dieser Beharrlichkeit zehren heute fast tausend Mitarbeiter. Noch immer wird in Bodelshausen gestrickt: Die Hallen mit den vollautomatischen 3D-Strickmaschinen, die fertige Pullover und Kleider ausspucken, sind etwas vom faszinierendsten, das es in diesem Fach zu entdecken gibt.

Ich werde periodisch von Marc Cain eingeladen, um den Mitarbeitern, Agenten und Handelspartnern die saisonalen Trends zu erläutern. Dies geschieht mittels eines bilderreichen Vortrags, welcher der Kollektionspräsentation vorangeht. Derweil sind in der zentralen Halle des Hauptsitzes die wichtigsten Looks der neuen Saison auf Büsten zu sehen (siehe Fotos). In gewisser Weise ist die Marc-Cain-Zuhörerschaft mein „Angstpublikum“, denn es sind allesamt Modeprofis, die an der Front arbeiten und selber ganz genau wissen, was gerade geht. Gerade Helmut Schlotterer selbst hat ein geradezu allumfassendes Wissen über Mode und ihre ökonomischen Zusammenhänge. Es bereitet mir deshalb vorab nicht wenig Kopfzerbrechen, mir auszudenken, was ich meinen Gastgebern jeweils erzähle.

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Meinen aktuellen Vortrag überschrieb ich, als Hommage an den kürzlich verstorbenen Musiker Prince, mit „Let’s go crazy.“ Denn nicht nur das Wetter spielt verrückt, es steht so vieles Kopf. Man hat manchmal das Gefühl, gar nicht mehr mit der Entwicklung Schritt halten zu können. Vielleicht spiegelt sich die Turbulenz unserer Zeit auch in den neueren Werbekampagnen, die mir aufgefallen sind und auch vom Wahnsinn befallen sind: Bei Aquascutum  steht ein Grüppchen Menschen dicht gedrängt unter einem einzigen Regenschirm, als würden sie die Wetterkatastrophe schon erwarten, bei Lanvin posiert ein Haufen Rothaarige mit Karnickel, und alles macht Selfies, und für Gucci lungern Models mit einem angeleinten Strauss in der Berliner U-Bahn herum. Alles sehr schräg. Das hat natürlich mit neuen Sehgewohnheiten zu tun. Mit der Überreizung der Netzhaut durch digitale Permanenz, mit dem ständigen Tröpfeln des visuellen Reizes auf Social Media. Wenn etwas nicht sogleich flasht, schaut man gar nicht mehr hin. Das hat Folgen für unsere Arbeit. Es muss „instant wow“ sein. Wow kann auch „OMG“ heissen.

In der Mode wird gerade gerne das Fell gegen den Strich gebürstet. Anti-Mode ist ein grosses Ding – ausgehend von ein paar jüngeren Pariser Labels, allen voran Vêtements, wird das Erbe von Martin Margiela neu aufgekocht. Da werden absichtlich Proportionen verschoben und alle Vorstellungen von Schönheit persifliert und pervertiert. Die Anti-Mode wirft alles, was wir einst als schön, elegant oder stilvoll empfanden, über den Haufen. Mit der klassischen Lehre der „Modeschöpfung“ hat sie nur noch wenig zu tun. Sie will gar nicht schön sein, sondern ist mitunter absichtlich richtig hässlich. Dass diese neuen Labels bei genauem Hinsehen tatsächlich nur die achtziger und neunziger Jahre replizieren, wird nur vo nden Veteranen bemerkt, denn das Gedächtnis des Internets und der Hip Kids reicht nur bis Mitte der neunziger Jahre. Anti-Mode ist die Steigerung von Normcore. Das Mix & match, das Sampeln und Neu-Zusammensetzen ist der Style der Generation Snapchat.

Die grossen Modehäuser dieser Welt haben es selbst zu verantworten, dass die Menschen sich von ihnen entfremdet haben. Dass ihr Angebot nur noch sehr theoretisch von Relevanz für sie ist. Sie hat Preise und Tempo immer höher geschraubt, sich von der Realität weg bewegt. Doch ich habe durchaus Hoffnung darauf, dass sich das wieder ändern kann und uns nach dem derzeit dominanten Normcore- und Mainstream-Phänomen von heute eine extreme, intensive, farbenreiche und liebenswerte Mode bevorsteht. Dass es ein Comeback von Individualität und Exzentrik geben kann. Wir sind am Boden, und von hier aus wird’s wieder aufwärts gehen. Denn was die Mode heute wieder braucht, ist Zauber, Eleganz und Drama. Oder wie Raf Simons es gegenüber „Business of Fashion“ sagte, nachdem er bei Christian Dior aufhörte: „Vielleicht war die Mode früher schöner, als sie noch etwas elitärer war, nicht für jedermann.“ – Vielleicht kann Mode aber auch durchaus für jedermann sein? Wenn sie gut und nicht banal ist?

Die Mode ist derzeit extrem unübersichtlich, sogar für Profis. Es wird daher eine Gegenreaktion geben zu der Übersättigung, dem Überangebot und dem Überdruss, der spürbar ist. Klarheit gewinnt wieder an Bedeutung. Die Mode muss wieder Zauber und Magie ausstrahlen. Man muss sich wieder nach ihr sehnen. Das kann nur geschehen, indem nicht weiter an Preisen und Qualitäten herum geschraubt wird, sondern das bestmögliche Produkt auf den Markt kommt. Mit aller Energie der Kreativen und allem Know-how der Techniker. Ausserdem muss diese Branche die Jahreszeiten neu ordnen, und zwar so, wie das Klima heute ist. Das hat sich eindeutig verändert. Der Frühling dauert nach meiner Beobachtung nicht mehr von März bis Mai, sondern von April bis Juni, und ab Juli beginnt der Sommer, der bis Ende September dauert. Erst dann kommt der Herbst, der bis Weihnachten geht, und ab dann ist bis Ende März Winter. Der Modehandel beginnt aber immer noch im Januar mit dem Frühling, manche sogar schon vorher. Das ist nicht mehr modern, zerstört die Profitabilität und entfremdet die Mode noch weiter von den Kunden.

Eine „scharfe“ Zukunftsansage ist das natürlich nicht. Aber vielleicht eine Option, um das was ist, weiter zu denken. Die Firma Marc Cain hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie die Zeichen der Zeit versteht. Wenn ich ein klein wenig zu diesem Erfolg beitragen darf, so ist dies mir schon eine grosse Genugtuung.

 

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