Gestern Sonntag, 18. Oktober 2015 – ein denkwürdiger Tag für die politische Schweiz – ist die jüngste Folge des „Sonntagsoutfits“ in der „NZZ am Sonntag“ erschienen. Es ging um das Outfit der 71-jährigen Berner Künstlerin Heidi Gassner, die wir an einem milden Sonntag im September im Tramdepot in Bern trafen. Wir waren dorthin gereist, um dem befreundeten Metallplastiker Markus Graf die Aufwartung zu machen. Aber schon bald waren wir ganz mit Heidi Gassner beschäftigt.
Heidi Gassner ist eine tolle, vitale und modemutige Frau. Nicht modemutig in dem Sinne, dass Sie um jeden Preis auffallen will. Aber ihr sind Dinge wichtig, die wir teilen – und das sah man auf einen Blick: Langlebigkeit, Originalität und inhaltliche Tiefe. Und dies meinen wir in Bezug auf Kleidung. Sie trägt ihre Sachen, die sie mit Verstand ausgesucht hat (kein Schnäppchenzeugs), lange und mit Liebe. Wer ein Auge für Kleidung und Qualität hat, der sieht das sofort.
Und dies war der Text dazu:
Kunst zieht an. Oft gerade Menschen, welche die Kunst des Sich-anziehens noch beherrschen. Wer zu einer Kunstvernissage geht, nimmt dafür etwas aus dem Schrank, das einem lieb ist und das eine stimmige Aussage über einen macht. Der Berner Künstlerin Heidi Gassner hat es intus. „ Ich habe Spass an Mode und Kleidung“, sagt die schlanke 71-jährige und freut sich, dass jemand das rote Sonia-Rykiel-Köpfchen auf ihrem Kleid erkannt hat.
Die Mode von Sonia Rykiel hat es Heidi Gassner besonders angetan. Sie verfolgt die Arbeit der Pariserin, seit diese ihre erste eigene Boutique im Pariser Quartier St. Germain des Près eröffnete. „Sie war eine Designerin, welche die Frauen befreite“, sagt Heidi Gassner, „Sie gab den Frauen bequeme Strickkleider und wendete aus Protest gegen die Konventionen die Nähte nach aussen. Sie war eine Freiheitskämpferin, und solche mutigen Frauen machen mir Eindruck.“
Das war 1968, und Heidi Gassner hatte gerade ihren Sohn geboren. „Ich hörte im Radio von der Studentenbewegung und wäre am liebsten auch nach Paris gefahren, um mich den Protesten anzuschliessen“, erinnert sie sich. Sie blieb aber in Bern, wurde Buchhändlerin und später Zeichenlehrerin. Mit 54 machte sie noch einen Uni-Abschluss und verschrieb sich ganz der Kunst. Sie arbeitet mit Handschrift und Texten.
Und immer wieder kaufte Heidi Gassner Mode von Sonia Rykiel, meist bei einer kleinen Boutique in Bern. „Die Inhaberin wollte oft kein Geld von mir, sondern tauschte auch mal Kleidung gegen Kunst“, lacht sie. Jetzt sei der Laden seit einiger Zeit nicht mehr da, was sie sehr bedauere: „Nun müsste ich wohl nach Paris, aber ich vermute, dass ich dort keine Kleidung gegen ein Bild tauschen könnte.“
Zum knielangen Strickkleid mit den charakteristischen Horizontalstreifen trägt Heidi Gassner eine pfiffiger Biker-Jacke aus einem festen schwarzen Jersey-Stoff. Auch das Beret mit dem Strass-Zipfelchen ist von Sonia Rykiel. Die braune Handtasche ist von 07/14, einem Ostschweizer Label, an das (herausgetrennte) Etikett des schlammgrünen Plissee-Halstuch erinnert sich Heidi Gassner nicht mehr.
„Ich höre oft, dass ich <gediegen> angezogen sei“, nimmt Heidi Gassner unser Kompliment zu ihrem Stil entgegen, „Für mich gehört das zum guten Leben.“ Dass sie eine ausgesprochene Geniesserin ist, sieht man der gertenschlanken Seniorin nicht an. Sie lacht: „Ja ich weiss schon, dass ich Glück habe, praktisch eine Idealfigur zu haben und alles anziehen zu können.“