Stil im Verkauf

Foto: Artem Gavrysh / Unsplash

Am Dienstag, 5. September 2023 hatte ich die Freude und Ehre, anlässlich des Herbst-Meetings der Vereinigung der Thurgauer Fachgeschäfte TGSHOP in Weinfelden einen Speech zu halten. Man wünschte sich von mir etwas zum Thema „Stilvoll im Verkauf“ – was angesichts der Bandbreite der Mitglieder des Vereins eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe war.

Ich habe mich mit dem Arbeitstitel „Kult statt Cool“ der Aufgabe genähert und einen bildreichen Vortrag darüber gehalten, wie wichtig es heute ist, originell, authentisch, echt, einzigartig, glaubwürdig und kompetent zu sein – und dass es in hyper-individualistischen Zeiten wie diesen kaum mehr möglich ist, einen „Dresscode“ zu formulieren, der für verschiedene Berufsgruppen gleichermassen funktioniert.

Foto: Ellen Tanner / Unsplash

Foto: Ellen Tanner / Unsplash

 

Hier zehn Key Points des Referats im Rathaus Weinfelden:

1. Der Ausdruck „Kult“ bezeichnet in der Umgangssprache im positiven Sinne  eine Qualität. Kult sind Fernsehserien, Rockbands, Autoren oder Produkte, die in einem speziellen Anhängerkreis grosses Achtung geniessen. So gibt es Kultbücher und Kult-Whiskys. Kult können auch Geschäfte sein. Sie müssen es vielleicht sogar sein, weil es ein physisches Geschäft nur gibt – und in Zukunft geben kann –, wenn es weiterhin sein Fachgebiet kultiviert.

2. Bilden Sie sich weiter, und vermitteln Sie ihr Wissen. Bis sie Kultstatus haben. Dann kommen die Leute nicht nur aus der unmittelbaren Region zu Ihnen, sondern von weit her. Dabei können Sie nicht allen gefallen – aber Ihrer Zielgruppe umso mehr. Ein entscheidender Teil dieses Eindrucks geht über die Optik. Damit ist natürlich primär Ihr Laden gemeint, der eigenständig aussehen soll und dessen Sortiment besonders ist. 

3. Genauso geht es aber auch um die Leute, die dort arbeiten und wie sie auf Menschen wirken. Ladeninhaber sind Performer. Sie inszenieren jeden Tag ein kleines Schauspiel für Ihre Kunden. Das muss von der Kulisse über die Dramaturgie bis zur Musik und den Akteuren ein stimmiges Ganzes sein. Ein tolles Geschäft mit gutem Sortiment wird man sich immer wieder für zukünftige Shopping-Touren merken und anderen Leuten davon erzählen. 

4. Denken Sie ans ganze Package. Investieren Sie in Sortiment, Menschen, Ladenbau, Licht, gute Luft – und in Ihr Äusseres. Und das Ihrer Mitarbeitenden. Das Outfit ist eine Visitenkarte, die man gar nicht erst aus der Jackentasche holen muss. Es spricht auch zu denen, mit denen Sie nicht reden.

5. Hygiene und Pflege. Schauen Sie dazu, dass Sie ansprechend frisiert oder rasiert sind. Und dass Sie gut riechen. Das ist essenziell, für alle Altersgruppen, Körperformen und Gewichtsklassen. Regelmässige Besuche bei Zahnarzt, Coiffure und Maniküre sollten für Menschen, die an der Verkaufsfront stehen, eine Selbstverständlichkeit sein.

6. Nutzen Sie Klischees. Was für Kleidung Sie im Beruf tragen, hängt natürlich vom Genre Ihres Geschäfts ab. Manches ergibt sich aus der Notwendigkeit, etwa beim Schuhmacher die Schürze oder beim Schneider das Massband um den Hals. Es gibt Normen und gewisse Vorstellungen. Diese vorgefertigten Vorstellungen sind individuell einstellbar. Aber es sollte unbedingt zu ihrem Laden passen – farblich, vom Stil und der Preisklasse her, formell oder lässig.

7. Definieren Sie für sich eine Art von „Uniform“, die sich stets wiederholt und zum Markenzeichen wird. Konsequenz und Eindeutigkeit sind Dinge, die eine treue Kundschaft gerne mag. Sie können mit ihrem Outfit ihre Werte vermitteln. Das geht bei manchen leichter, bei anderen braucht es mehr Abstraktion. Wenn jemand aber in ganz und gar uneindeutiger Kleidung in seinem Laden steht, dann ist es für mich als Zuschauer dieser Inszenierung schwer, zu verstehen, wofür dieser Mensch und sein Geschäft steht. Ob seine Werte auch die meinen sind.

8. Es gibt nirgends mehr eine Anzugs- oder Krawattenpflicht, wir leben im Zeitalter der absoluten Individualität. Dresscodes sind ein alter Hut. Sie interessieren niemand mehr, das entsprechende Buch, das ich dazu vor 15 Jahren mal geschrieben habe, ist heute nur noch im Antiquariat erhältlich, es wurde vom Verlag nicht mehr nachgedruckt. Die Kategorie „Business“ gibt es eigentlich gar nicht mehr. Das heisst jetzt „smart casual“, es geht um einen Mix aus etwa 2/3 formeller, klassischer Kleidung und einem Drittel Freizeitgarderobe. Mit Home Office hat sich das noch einmal akzentuiert.

9. Tragen Sie keine ausgesprochene Freizeit- oder Sportbekleidung im Job – Jogginghosen gehören auf den Sportplatz und Trekkingschuhe auf den Wanderweg, aber nicht hinter die Ladentheke. Auch Sport-T-Shirts sind im Verkauf verkehrt – ausser, man verkauft Sportartikel, dann passt es natürlich. Verzichten Sie auf Aufschriften und Logos, und zwar solche von Marken oder Sportvereinen, aber auch auf lustige Sprüche. Sie sind nicht angestellt, um sich im Laden selber zu verwirklichen oder ihre Weltanschauung durchzudrücken.

10. Achten Sie auf  die Passform – etwas, das viele Menschen aus unerfindlichen Gründen nicht zu verstehen scheinen. Sie tragen brutal zu kleine – oder manchmal auch absurd zu grosse – Kleidung und wirken damit etwa so, als hätten Sie ein grösseres Problem mit ihrem Budget und ihrer Disziplin – oder auch beides. Hautenge Kleidung ist nicht schick, sondern unbequem und offensiv. Sie zwingen andere Leute damit, wegzuschauen – oder jene, die dazu nicht die Disziplin haben, zu glotzen. Beides lenkt von einem guten Verkaufsgespräch ab.

Foto von Artem Gavrysh / Unsplash

Der Gastgeber Dr. Hotz und der Referent.

Der Gastgeber Dr. Hotz und der Referent im Rathaus Weinfelden.

Nachtrag vom 9.9. – das schreibt die «Thurgauer Zeitung» über den Abend im Rathaus Weinfelden:

«Stil macht das Arbeitsleben besser»

Der Stil- und Modeexperte Jeroen van Rooijen über Mode, Zeitgeist und Stil in Ladengeschäften.

Text: Margrith Pfister-Kübler

Knisternde Gespanntheit herrschte am Dienstagabend im Rathaus Weinfelden. Was hat der bloss zu sagen, dieser Jeroen van Rooijen, berühmter Autor, Radio-Moderator, Stil- und Modeexperte und einst vom Magazin GQ Germany als bestangezogener Mann der Schweiz gewählt? Also jede Menge Erfahrung und ein Gipfelstürmer im Bereich Style. All dies versprüht der Mann mit seidenem Tüechli um den Hals schon bei der Begrüssung.

Grosses Interesse bei den Vereinsmitgliedern

«Es haben sich für dieses Herbstmeeting mehr angemeldet als üblich: 175 Personen», freut sich Matthias Hotz, Präsident von TGshop Fachgeschäfte Thurgau, mit Blick in den Rathaussaal. 175 dynamische Vertreterinnen und Vertreter aus den thurgauischen Fachgeschäften waren gekommen, um sich an diesem Weiterbildungsanlass «Stilvoll im Verkauf: New Business Style» neues Wissen zu holen. Matthias Hotz kündigt an: «45 Minuten – wie man im Verkauf eine ‹gute Falle› macht». Vorab lässt er das Leben des Referenten, welches 1970 in Frauenfeld – noch im «alten Spital» – begann, Revue passieren.

Jeroen van Rooijen wuchs mit fünf Geschwistern auf und liess sich von nichts von seinem Weg abbringen. 1986 besuchte er die Kunstgewerbeschule Zürich, heute Hochschule für Künste, wo er 1991 als diplomierter Modegestalter abschloss. Danach arbeitete van Rooijen bei verschiedenen Radiostationen und später bei Mode- und Lifestyle-Magazinen. Die kleinen Geheimnisse seiner glücklichen Karriere, die gewissen Extras, auch mit Hürden in der Entwicklung, die Spurensuche, die Anpassungen können nach diesem Abend wohl so zusammengefasst werden: Je härter die Arbeit, das Begeisterungsfeuer, desto erfüllender das Resultat. «Ich weiss, was Handel bedeutet. Handel ist im Wandel», sagt Jeroen van Rooijen gleich zu Beginn. Er unterstreicht dieses Wissen und zitiert Karl Lagerfeld mit «Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit». Also müsse man sich weiterentwickeln, damit sich «der verdammte Aufwand» lohnt: «Wir sind Dienstleister, Entertainer bis Seelsorger.»

Er blickt ins Publikum, entdeckt die Frauenfelderin Hilde Market von Schuh- und Hotmode AG: «Wie geht das mit den Schuhen?» Market strahlt; van Rooijen liefert zahlreiche Beispiele von Geschäften, die ihr Label zum Erfolg brachten: der Frauenfelder Bäcker, der nur drei Sorten Brot bäckt und diese an drei Tagen verkauft. Oder andere Geschäfte, die so speziell sind, dass man einfach «reinlaufen muss», wo die Leute von weit her kommen, um das Spezielle zu haben. Er sagt: «Man probiert was im Leben und rutscht ins nächste.» Nebenbei macht er auf Concept Store «Cabinet» in Zürich aufmerksam, wo er Co-Inhaber ist. Er weist auf die Spielräume im Leben hin.

Dazu zählt auch van Rooijens Hobby: Velofahren. «Strampeln hält fit. Das Leben ist eine Velofahrt. Um in Bewegung zu bleiben, muss man die Balance halten. Das ist die logische Fortsetzung vom täglichen Strampeln.» Er unterstreicht den hohen Stellenwert des lebendigen Fachhandels. «Ich habe auf die Mitgliederliste TGshop geklickt. Ich bin erstaunt über die tollen Konzepte und die Vielfalt. Man sollte mehr aufs Land, um alles zu entdecken.»Punkto Bekleidung sagt er: «Bleiben Sie authentisch, zum Typ passend. Seien Sie so, dass es eine Freude ist, Sie anzuschauen. Es gibt kein Richtig oder Falsch.»

Das Eigene kultivieren und zum Kult machen

Der Referent hat einst das Buch «Dresscode» geschrieben. Er sagt heute: «Das interessiert keinen Menschen mehr.» Die neue Formel lautet: Zwei Drittel formelle Kleidung, ein Drittel Casual: «Versuchen Sie jeden Tag, jemandem zu gefallen, auch sich selbst.» Heiterkeit löst Jeroen van Rooijen mit seinen Betrachtungen aus über «vorsätzlich kaputte» Kleider, das «Dümmste auf der Welt» oder «zu viel Haut», ausser man arbeite in einem Sex-Shop».

Mehr «Uniform», Konzept eines Geschäftes, das Eigene kultivieren, dazu macht er Mut: «Stil macht das Arbeitsleben besser. Werden Sie Kult – Kult ist Kultur.» Er fügt überzeugt in seine Ausführungen ein, dass er an eine gute Zukunft des lokalen Fachhandels glaube, wie er auch an kleine lokale Zeitungen glaube. Vorausgesetzt: Sie positionieren sich mit speziellem Mehrwert. Er ermutigt auch zu Online, bezeichnet dies als «Parallelwelt». Online müsse eine Story erzählen, müsse geschmeidig daherkommen. Das müsse gekonnt sein. Konsequent «speziell sein mit Qualität» auf der Suche nach Speziellem, das helfe bei jeder Marke auf dem Weg zur Expansion. Lang anhaltender Applaus beweist: Der Abend ist ein Highlight.

In der anschliessenden Diskussion und dem nachfolgenden Apéro riche drehen sich die Gedanken um Stilfragen weiter. Ja, wohlfühlen müsse man sich in der Kleidung, das war immer wieder zu hören. Die Zeichen bei TGshop stehen nicht nur auf Marketing, sondern auch auf Aussergewöhnliches im Angebot und in der Bindung zu den Konsumenten. Ein Besucher murmelte: «Eine gute Idee kann eine Goldgrube sein, sowohl für sich selbst als auch für andere.»

1 Comment

  • Antworten September 6, 2023

    Pache

    Lieber Jeroen
    Das ist mal ein Vortrag zu diesem Thema, das die Zuhörenden bestimmt gefesselt hat!
    Ich denke dass Du positive Feedbacks erhalten hast .
    Ich könnte alles unterschreiben was ich gelesen habe.
    Gratulation zu deinen Gedanken und Ansichten
    Liebe Grüsse
    André
    👍👍👍

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