Die Mode ist aus dem Tritt. Sie hat sich von ihren Kunden entkoppelt und ihre eigentliche Aufgabe aus den Augen verloren: Die Menschen zu begeistern, in ihnen ein Begehren zu wecken und ihnen Halt zu geben. So fasst Branchenbeobachter Jürgen Wolf für „Profashionals“ die derzeitige Misere zusammen. Wir klatschen Beifall. Denn es geschieht nicht mehr oft, dass man begeisternde, engagierte Texte über Mode liest.
Die Modebranche ist krank. Sie leidet an Verfettung, Verstopfung und einem Mangel an Bewegung. Zwar zappelt sie ständig hypernervös, aber sie läuft keine Strecken mehr. Sie tritt auf der Stelle. Die Folge von Überangebot, Omnipräsenz und Hibbeligkeit: Die Menschen wenden sich ab von dieser Mode. Sie wollen damit nichts zu tun haben.
So etwa lässt sich der Kern dessen zusammenfassen, was Fashion-Veteran Jürgen Wolf dieser Tage auf dem deutschen Mode-Branchenportal „Profashionals“ beschreibt. Jürgen Wolf erfand 1988 das Skater-Label Homeboy, er gehört zu den Streetwear-Pionieren der Branche. Und er vermisst an der Mode heute den Zauber, die Verführung, den Mut zum Statement. Nachfolgend einige Kernsätze aus Wolfs treffendem Traktat.
Der Endverbraucher, nicht doof, aber allein gelassen, hat sich seine eigene Logik zurechtgelegt. Diese besagt, dass er eben nicht mehr zwölfmal im Jahr in die Stadt fährt, um 15 Euro im Parkhaus zu verprassen, sondern gemütlich mit seinem iPad auf der Couch hockt und in zwei Dutzend Shopping Clubs nach irgendetwas schaut, dass ihm gefallen könnte.
So weit, so bekannt. Doch genau dieses Internet-Shopping, das sich auch in Europa immer weiter verbreitet – man schaue mal auf einer Poststelle die Schlange von Menschen mit den vielen Paket-Retouren an – mache auch nicht glücklich. Dass die Leute aus purer Langeweile online shoppen, wurde ja bereits erforscht. Doch die grosse Auswahl, die man online findet, überfordere den Konsumenten, schreibt Jürgen Wolf weiter: “Das Gefühl für Mode verkümmert. Zuviel Auswahl ist immer Mist“, so seine Einschätzung. Mit der permanenten Verfügbarkeit der Mode habe sich ihr Reiz in Luft aufgelöst.
Man stelle sich vor, ein junger Mann geht in den Club, und jeden verfluchten Freitag und Samstag sind Unmengen von hübschen Frauen dort. Hier blonde Ladies. Dort Schwarzhaarige. Schlanke. Oder Rubensschönheiten. Alte. Junge. Große. Kleine. Große Brüste. Gar keine. Vorlaute. Ruhige. Willige. Unwillige….So wie im Internet mit der Mode. Auswahl bis zum Kotzen.
Die Folge einer solchen Überreizung, folgert Jürgen Wolf, sei, dass sich die Menschen von der Mode abwenden. Sie ist so billig, so willig und darum so gar nicht mehr begehrenswert.
Der Kunde verweigert sich der Mode. Ausgelaugt und flachgebombt.
Wozu also noch Kleidung kaufen? Wenn die Schränke doch sowieso voll sind und die Sachen lange halten, obwohl sie stinkbillig waren? Jürgen Wolf empfiehlt der Branche, sich darauf zu besinnen, was den Reiz der Mode einst ausmachte:
Es ist die Attraktivität, die zählt. Der persönliche Style. Das Interessant machen. Die Möglichkeit, die eigene Besonderheit zu zeigen. Sich abzugrenzen oder einzufügen. Etwas auszusenden. Eine Positionierung.
Die Modebranche müsse sich wieder getrauen, nicht nur an Umsatz und Rendite, sondern an Stil und Zauber zu glauben. Und dazu müsse der Handel wieder sein Profil schärfen. Ein Geschäft muss ganz klar machen, wofür es steht, an welche Werte es glaubt. Denn die Menschen sehnen sich, gerade in Zeiten von „Anything goes“, nach einer gewissen „Führung“ – gerade, was das individuelle Styling betrifft. Der Mensch wolle etwas sein, etwas darstellen, so Wolf:
Niemand kauft sich eine Harley, weil das ein Top-Motorrad ist. Da müssten alle eine langweilige BMW fahren. Eine Harley steht über der Technik. Sie steht sogar über der Handwerkskunst, der viele Männer, die in die Jahre kommen, so sehr frönen, dass sie eine rückwärtsgewandte Sicht entfalten und gnadenlos alles um das Thema „Heritage“ anbeten. Eine Harley macht aus einem Weichei einen Kerl. Oder nicht? Oder doch?
Die Sehnsucht nach Klarheit und der Wunsch vieler Leute, die richtigen Entscheidungen zu treffen und die richtigen Dinge dazu gekauft zu haben, sei die grosse Chance für den Handel. Dieser muss Geschichten erzählen, den Menschen Sicherheit geben.
Es gilt, mit den Kunden, die noch in die Läden kommen, zu kommunizieren. Sie zu begeistern. Sie zu binden. Genau hier liegt die Chance der Branche.
Diesem Aufruf ist wenig beizufügen. Wir brauchen in Zukunft weniger, dafür bessere Modeläden. Vielleicht dürfen sie auch schlanker, fitter und wendiger sein als die dicken Einzelhandelskolosse, die heute unsere Kauflust lahmlegen, statt uns zu stimulieren. Buy less. Buy small. Buy local.