We’re talking trends

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Ich bin zwar schreibender Kolumnist, Modejournalist und Stilkritiker, aber auch ein wandelndes und live sprechendes Orakel für Stil und Modefragen, und als „Wanderprediger“ komme ich immer wieder in Kontakt mit Menschen, die ich nicht kannte und deren Mode-Nöte mir neue Perspektiven eröffnen. Es scheint gerade in Zeiten, in denen alles möglich ist, das Bedürfnis nach Klärung und Einordnung doch recht gross zu sein. Und so hatte ich am Mittwochabend, 3. Juni 2015 das Vergnügen,  Gästen einer Grossbank im Textilmuseum St. Gallen einen Update in Sachen Mode und Stil zu geben. Das Überthema des Abends, zu dem auch eine Führung durch das Museum und die aktuelle Ausstellung über das St. Galler Kinderfest gehörte, lautete „Geschmackswandel – Tradition und Veränderung in der Modewelt“.

Meine Referate und Workshops begleite ich in der Regel mit einem bunten Reigen an Bildern, die man mit dem Beamer in den Raum projiziert. Mode erschliesst sich über Bilder nun einmal besser. Der Abend im Textilmuseum St. Gallen ist aber insofern ungewöhnlich, als dass wir bewusst auf Powerpoint und digitale Technik verzichteten und „old school“ grosse Kartons mit Fotos herumzeigten. Der Veranstalter wollte seine Gäste nicht mit Bürotechnik langweilen.

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Und das sind – sehr summarisch zusammengefasst – meine wichtigsten aktuellen Mode- und Stiltrends mit einem Fokus auf Sommer 2015. Einiges davon ist saisonal, anderes wohl noch länger gültig.

 

Berenik @ Zurich Fashion Days 2014.

Berenik @ Zurich Fashion Days 2014.

WOMENSWEAR TRENDS

GANZ IN WEISS. Passend zum Kinderfest in St. Gallen präsentiert sich auch die aktuelle Mode – ganz in Weiss geht auch ohne den von Roy Black besungenen Blumenstrauss, als Alltagsgarderobe. Voraussetzung für den Weiss-Look: Gute, schön gebräunte Haut, ein dezentes Make-up und ein unbeschwertes Styling. Tipp: Die Dinge nicht zu eng tragen, das sieht cheap aus.

WEITE VOLUMEN. Die aktuelle Mode läuft dem sich noch immer verschärfter akzentuierenden Fitness-Trend diametral zuwider: Frau trägt nämlich nach Jahren des Stretch- und Knalleng-Looks wieder weitere Schnitte. Die Designer schaffen grosszügige, lose Volumen mit architektonischen Qualitäten – abgeräumt und modern wie ein eleganter Neubau.

MUSTER MIXEN.  Hoch im Kurs sind alle Arten von expressiven Blumenmustern, die auch mit grafischen kombiniert werden, also etwa zu Streifen. Man kann sich auch Karos zu Blumen vorstellen. Ausserdem gibt es das ganze Repertoire der Animal-Prints – man kombiniert es unbeschwert über die Gattungsgrenzen hinweg, also auch mal Schlangen zu Tigern oder Vogelfedern zu Echsenprints.

KUNST TRIFFT MODE. Auffällig sind die neuen Art-Prints dieses Sommers, die verschiedene Kunstrichtungen aufgreifen – allen voran moderne Strömungen. Hinter dem Boom an Mustern und Motiven steht eine Revolution in der Drucktechnologie: Dinge, die früher zu aufwändig oder kompliziert gewesen wären, werden heutemit Inkjet-Druckern gedruckt.

BEQUEM & CHIC. Wem die bunte Print-Mode zu viel ist, der muss nicht verzagen – das Motto in der Mode heisst heute „pick & choose“. Wer die Mittel hat, sich etwas besonderes zu kaufen, der trägt nicht mehr weitherum sichtbares und auffälliges Label-Zeug, sondern diskreten Luxus. Dabei geht es um Komfort und das gute Gefühl, etwas Besonderes aus exklusiven Fasern zu tragen.

NEO GRUNGE. Die neunziger Jahre werden schon neu aufgetischt, und zwar in Gestalt des Neo-Grunge-Stils. Dieser beruft sich auf die Grunge-Musikbewegung, die in Seattle ihren Anfang nahm. Eine junge Zielgruppe, nach 1992 geboren, findet den sehr nachlässigen Style der Grunge-Zeit nun wieder cool. Sie tragen enge Hosen und schwere Boots, zu grosse T-Shirts und Pullover und verwaschene Hemden.

SPORTS SPIRIT. Einer der wichtigsten Einflüsse in der Mode ist der stets zunehmende Einfluss der Sportswear. Das, was man früher nur auf dem Sportplatz trug, gehört heute auch zur Alltagsgarderobe. Am deutlichsten erkennt man es an der Allgegenwart von Sneakers und T-Shirts, spannender und weniger offensichtlich ist der Einfluss der Material- und Verarbeitungstechnik aus der Sportswear.

BLOGGER STYLE. Grossen Einfluss auf die Mode der letzten Jahre haben die Blogger gehabt: Menschen, die auf meist selbst geschaffenen digitalen Plattformen andere Menschen porträtieren, die sich spannend anziehen. Der Blogger-Style ist extrem modisch, sehr individuell und immer ein bisschen „too much“. Dazu gehören bodenlange Röcken, bauchfreie Pullis, XL-Jacken, eine auffällige Sonnenbrille und extreme Schuhe.

NEW BUSINESS. Noch immer haben die Damen, auch im Business, ungleich mehr Spielräume als die Herren. Doch muss man auch wissen: Mehr Freiheit heisst auch mehr eigene Entscheidungen, die nötig sind. Die Businessgarderobe enthält heute sehr viel mehr modische Elemente, auch solche, die einst zur Freizeitgarderobe gehörten.

 

Pelikamo @ Zurich Fashion Days 2014.

Pelikamo @ Zurich Fashion Days 2014.

MENSWEAR TRENDS

SLIM FIT. Ein wichtiger Trend in der Menswear heisst Slim-fit – zwar dreht in der Avantgarde der Wind langsam wieder in Richtung mehr Weite und Komfort, aber diese muss mit Vorsicht genossen werden, denn: Bei vielen Männern ist die Entwicklung in Richtung gut sitzender Slim-Fit-Kleidung noch gar nicht angekommen. Denn ein Jackett, das gut sitzt, ist bequemer als eines, das zu weit ist.

SMART CASUAL. Der wichtigste Modestil in der Männermode heisst Smart Casual und schlägt eine Brücke zwischen Freizeitkleidung und businesstauglicher Garderobe. Die Männer wollen es bequem  haben, wissen aber auch, dass ein bisschen Klassik nicht schadet. Sie tragen darum immer öfter smarte Kombinationen – dies ist eine erhöhte Komplexität, aber schliesslich sind die neuen Männer auch mode-kompetenter als früher.

LUST AUF MUSTER. Generell empfiehlt man den Herren, maximal zwei Muster – zumeist Streifen oder Karos – zu kombinieren und den Rest uni zu lassen . Diese Regel kann für Unsichere auch heute noch gelten, doch wer modisches Talent hat, kann heute auch drei oder vier Muster kombinieren.In der Avantgarde gibt es ein starkes Interesse an maskulinen Blumenmustern und expressiven Motiven, die neu sind.

SOFT & STRETCH. Weichheit und Sinnlichkeit sind Themen, vor denen heute auch die Männer nicht mehr zurückschrecken. Fast jedem Material und Garn wird heute ein paar Prozente Lycra oder Elastan beigemischt, um die Stoffe weicher, geschmeidiger und dehnbarer zu machen. Das Ergebnis ist eine Kleidung, die so chic und gepflegt wie gute Klassik ist, aber gleichzeitig sehr leicht und angenehm zu tragen.

HOLZFÄLLER-STIL. Wem das Stretch-Lebensgefühl zu wenig kernig ist, für den gibt es derzeit einen unvergänglichen Klassiker im neuen Gwand: Der Holzfäller-Look. Kariertes Hemd, dicke Jeans, Stiefel, Wollkäppi und – optional! – eine Axt auf der Schulter – so kleiden sich heute bevorzugt die bärtigen Hipster-Boys in Berlin, Zürich, New York oder Paris – so, als kämen sie direkt aus dem Wald.

PITTI PEACOCK. Blogs, also digitale Tagebücher von Mode-Fans, haben auch die Männermode stark beeinflusst. An der Männermodemesse Pitti Uomo in Florenz treffen sich die modeverrücktesten Männer der Welt : Hier sieht man einen extrem expressiven, musterstarken und individuellen Modestil, der auch die Mainstream-Sortimente sanft beeinflusst. Typisch sind Foulards, Armbänder und Schmuck.

NEW BUSINESS. Auch die Businessgarderobe steht unter dem Einfluss des gesteigerten Modebewusstseins der Herren. Sie ist schmaler geschnitten, die Hosen sind kürzer. Man achtet sehr auf die Details. Es kommt auf den Stoff des Anzugs an. Auf die Verarbeitung und die Knopflöcher. Kann man den Ärmelschlitz öffnen? Gibt es eine Billetttasche? Hat die Hosen Seitenspanner oder nur Gurtschlaufen?

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