Live from Milano – Men’s Collections Fall 2015

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So, liebe Zuschauer – Halbzeit in Mailand, die Modenschauen mit der Männermode dauern noch bis Montagabend … Zeit, das bisher Gesehene mal etwas zusammenzufassen. Vorab ein Kontext: Den Italienern geht es im Heimmarkt nicht gerade gut, die Wirtschaft kommt nicht vom Fleck, die Leute hocken auf ihrem Geld, Impulse fehlen. Wer Wachstum erzielen will, muss exportieren – und dabei in die richtigen Märkte zielen. Oder seine Zielgruppe genau kennen und ihre Bedürfnisse abdecken.

Die Kundschaft von Bottega Veneta, die Designer Tomas Maier seit vielen Jahren gekonnt bedient, muss ihre monetäre Power nicht mehr unter Beweis stellen. Wer Bottega Veneta trägt, ist über das Stadium des gewöhnlichen Status-Strebens hinaus und geniesst es, grossen Luxus als persönliches Gut zu geniessen und die Garderobe mit einer guten Portion Lässigkeit auszustatten. Nie sieht Hyper-Exklusives nonchalanter aus als bei Bottega Veneta. Diesem Konzept bleibt Maier treu. „Das kreative Leben“ stand für die übernächste Saison Modell. „Es geht nicht um perfekt angezogen sein, um ein perfektes Zueinanderpassen oder eine brandneue Optik“, sagte Tomas Maier zu dieser Kollektion, die wir aus bester Perspektive in der ersten Reihe geniessen durften, „Mich interessiert schön gemachte Kleidung, die ihr eigenes Leben haben darf und einen Sinn für persönliche Geschichten und Nonkonformismus hat.“ Gut gelungen!

 

 

Auch aus guter Perspektive, sozusagen am „turning point“ des Catwalks, sahen wir am Samstagabend die Show von Versace. Nicht unsere Lieblingsmarke, aber der neue, angezogene Realismus, den Donatella Versace auf die Bühne brachte, zeigt an, dass man weiterhin wachsen will. Scheinbar läuft’s bei Versace gerade rund: von einer Umsatzverdopplung auf über 500 Millionen Euro im letzten Jahr war die Rede. Keine Ahnung, wer das kauft – aber es gibt diesen Kunden offenbar, und das ist doch aus wirtschaftlicher Sicht schon mal erfreulich.

 

Gas gibt auch Andrea Pompilio, einer der jüngeren Namen auf dem Mailänder Männer-Kalender. Noch nie zeigte dieser designer eine solch umfassende, komplette Kollektion wie für die Saison Herbst/Winter 2015/16. Stilistisch pendelt er zwischen einer jüngeren Klassik und Sportswear, wobei die formelle Note dieses Mal ausgeprägter war.

 

Gerne und gut gesehen haben wir auch Jil Sander, wo Designer Rodolfo Paglialunga, der zehn Jahre bei Prada und dann kurz bei Vionnet in Paris war, seit zwei Saisons das Zepter führt. Spannend die neue Bedeutung des Mantels – nach etlichen Saisons von Parkas und Sportjacken scheint die Zeit wieder reif zu sein für „richtige“ Mäntel. Neu auch die extrem tiefe Bundfalte, die der Hose um die Hüfte mehr Raum gibt.

 

Dafür waren Licht, Sitzplatz und Distanz zum Geschehen bei Ermenegildo Zegna so miserabel, dass uns dort leider kaum ein brauchbares Bild gelungen ist. Schade, denn es hätte in der Kollektion von Stefano Pilati durchaus ein paar Treffer gehabt. Wobei sich irgendwie immer noch die Frage stellt, ob diese Marke einen Designer von diesem Rang und Status braucht oder sie nicht besser beraten wäre, wie die anderen Mailänder Klassiker auf Handwerkskunst und Materialwissen zu setzen?

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So wie es etwa Kiton tut, die mit „Milletrecento Mani“ die handwerklichen Fähigkeiten ihrer 650 Mitarbeiter/-innen feierten und mit der Kollektion – die immer noch sehr klassisch ist – subtil auf einen etwas jüngeren Kunden zielen, der seine Sachen figurbetonter und lässiger trägt. Antonio De Matteis, CEO von Kiton, sagte: „Wir spüren in jüngster Zeit viel Zuspruch bei jungen Männern, die nie einen Anzug tragen mussten, doch nun einen wollen – und die bereit sind, in etwas Besonderes zu investieren.“ Dass für einen guten Anzug Geld ausgegeben wird, zeigte allein schon der Umstand, dass sich Kiton den einstigen Palazzo von Gianfranco Ferré an der Via Pontaccio gekauft hat, wo die Präsentation stattfand…

 

Auf dieselbe neue Klassik-Kundschaft setzt Umberto Angeloni von Caruso: Mit der Eröffnung des neuen Caruso-Flagship-Stores an der Via Gesu in Mailand ruft der Unternehmer auch gleich eine „Via dell’Uomo“ ins Leben, die eine Art italienisches Pendant zur Savile Row in London werden soll.

 

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