Als Redaktionsmitarbeiter oder auch als einfacher Worthandwerker – also Zulieferer der gedruckten oder elektronischen Presse – ist man bekanntlich Adressat von Dutzenden von PR- und Pressemeldungen, die täglich versandt werden. Nicht immer sind diese auch geschickt formuliert. Und das beginnt schon bei der Anrede. Am gängigsten ist „Liebe Medienschaffende“. Es ist, wie „Studierende“, ein geschlechtsneutraler Teflon-Pauschalbegriff, das niemandem unnötig schmeichelt, aber auch niemanden herabsetzt. Man kann eine Medienmitteilung, die so beginnt, gefahrlos an hochdotierte Chefredaktoren wie blutjunge Praktikanten schicken. Meint man.
Denn „Liebe Medienschaffende“ ist in Zeiten der digitalen Über-Kommunikation, in der jeder überall Pressemeldungen verschickt, auch zu einem sicheren Eigentor geworden: Nachrichten, die so unpersönlich beginnen, werden ungelesen und ohne schlechtes Gewissen gelöscht. Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer solcher Anreden, die man sich besser sparen könnte, wenn man Massen-PR verschickt. So habe ich heute ein Massen-Mail mit „Liebe Pressefreunde“ bekommen. Ja, ich bin ein Freund der Presse. Ich liebe gute Druckerzeugnisse und/oder digitale Plattformen. Ich trage selber dazu bei. Aber bin ich deswegen auch automatisch der Freund der PR-Erzeuger? Ich zweifle.
Hier eine aktuelle Liste weiterer Pauschal-Anreden, die sofort und ungelesen im Rundordner abgelegt werden:
- Geschätzte Pressevertreter. Oder: Liebe Medienvertreter. Ja, da könnte man ja auch gerade ein Staubsauger- oder Versicherungs-Vertreter sein. Oder sich derweil draussen die Füsse vertreten, ist sicher gesünder als weiterzulesen.
- Liebe Medien-Partner. In gewissen Fällen mag das stimmen (wenn Medienunternehmen als Partner für Events oder Aktionen mit Unternehmen zusammenspannen), aber in allen anderen Fällen ist dies unstatthaftes Fraternisieren mit dem Zielobjekt.
- Liebe Kollegen. Es ist eine bekannte Tatsache, dass immer mehr Journalisten ins PR-Fach wechseln (müssen). Der Medienmarkt gibt schliesslich nicht mehr für alle etwas her. Aber ist man dann immer noch „Kollege“, wenn man „auf der anderen Seite“ arbeitet?
- Liebe Redaktion. Oder: Liebe Redakteure. Zu pauschal und streubomben-mässig. Ausserdem schliesst es Praktikanten und die Chefetage aus.
- Liebe Multiplikatoren. Oder: Liebe Netzwerker. Habe ich nun schon verschiedentlich im Zusammenhang mit Blogs und schneller digitaler Kommunikation gesehen. Vielleicht fühlen sich Bloggermädchen davon geschmeichelt („Liebe Blogger-Girls“). Für alle anderen ist es eine Geringschätzung oder gar Beleidigung.
Ein letzter, gut meinender Tipp vom Zielobjekt: Wer nicht die Zeit, Tools und Skills hat, um PR-Meldungen zu personalisieren (mit individueller Anrede), möge die unpersönliche Floskel lieber weglassen, um im Mahlstrom der täglichen Nachrichtenflut überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Und sogleich mit der News ins Haus fallen. Die Zeit ist schliesslich knapp…
Nachtrag vom 5.11.:
Heute von Mandarin Oriental Hotels reinbekommen: „Liebe Presskollegen“. Haha. Man bekommt sogleich Presswehen.