We look at Cruise Collections

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Am Sonntag ist in der „Stil“-Beilage der „NZZ am Sonntag“ ein längerer Text erschienen, in dem ich das Phänomen der „Cruise Collections“ behandle. Es geht um jenen einstigen Nebenschauplatz der Mode, der in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung bekommen hat. Einerseits, weil die frühen Ordertermine eher der Realität des Handels entsprechen, andererseits aber auch, weil „abseits“ der Hauptsaison die mediale Beachtung solcher Schauen ungleich grösser ist. Der Text ist bei NZZ  online nicht abrufbar, weswegen ich mir (als freier Autor des papierenen Mediums) hier erlaube, ihn nachträglich digital zu veröffentlichen. Here we go …

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Aufmerksamkeit ist in diesen Zeiten der permanenten Ablenkung ein kostbares Gut geworden. Gerade in Märkten, die von Überangebot, Übersättigung und zunehmend auch von Überdruss geprägt sind, wird es zunehmend schwierig, noch für einen Moment die Gunst des Publikums zu bekommen. Dazu muss man sich schon etwas einfallen lassen. Und das tun die grossen Modemarken!

Stets mehr Designer und Labels entdecken die „off season shows“, also das Zeitfenster zwischen den Fashion Weeks, in denen früher bestenfalls mal eine trockene Pressemitteilung mit Studiofotos verschickt wurde, niemals aber eine grosse Show stattfand. Diese konzentrierten sich traditionsgemäss auf die Modewochen im Frühling und Herbst. Doch sind die Kalender in New York, Paris und Mailand inzwischen derart mit Shows überfüllt, dass auf diesem Weg kaum noch die erwünschte Publikumswirkung erzielt werden kann. Die Meute hetzt von Schau zu Schau, das einzelne Ereignis wird kaum noch gewürdigt, ganz egal, wie viel Herzblut drin steckt.

Die Nebensaison umfasst in der Mode einerseits den Sommer, andererseits die Festtags-Zeit um Weihnachten. Den Sommer bestückt man mit Pre-Collections (Vor-Kollektionen, welche die Tendenzen des Herbstes vorwegnehmen), den Jahreswechsel mit Cruise-Collections, die sich einst an eine wohlhabende Klientel richtete, die der winterlichen Kälte Nordamerikas entfloh, indem sie zu einer Kreuzfahrt (Cruise) in die Karibik aufbrach. Heute sind Kreuzfahrten längst nicht mehr das Privileg der Hautevolée. Alle Welt jettet permanent herum. In Zeiten des Klimawandels und fallender Flugticketpreise kommen diese sommerlichen Fähnchen natürlich wie gerufen – irgendwo ist ja immer Sommer.

Cruise – oder Resort Collections, wie sie auch genannt werden – haben meist einen sportlichen, leicht maritimen Charakter und sind in ihrer ganzen Stilistik praktischer und realitätsnaher als die grossen Schauen im Herbst und Frühling. Kommerziell sind die Vor-Saisons der Mode schon länger wichtig. Nicht wenige Marken „schreiben“ in der Zeit vor den grossen Schauen bereits rund achtzig Prozent ihrer Orders – die Defilees und die damit verbundenen Showroom-Termine sind dann oft nur noch das Sahnehäubchen auf die Saison.

Cruise Collections werden relativ früh im Spätherbst an den Handel ausgeliefert und haben darum einen längeren Lebenszyklus als die Hauptkollektion. Dennoch waren die Cruise Collections bisher kaum ein mediales Thema. Das hat sich nun deutlich geändert.

Die Marken – allen voran die grossen Luxuslabels wie Louis Vuitton, Christian Dior, Gucci oder Chanel – lassen es sich teilweise Millionen kosten, mit einer exaltierten Cruise-Show für ein paar Tage die Schlagzeilen der Modepresse zu ergattern. Dazu werden Heerscharen von Models, Showproduzenten, Friseuren, Make-up-Artists und anderen Personals an exotische Orte geflogen und die wichtigsten „opinion leader“ und wohlgesonnene Berichterstatter eingeladen, um sich ein paar Tage auf Kosten des Hauses zu verlustieren.

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Auf die Spitze getrieben hat es diese Saison Karl Lagerfeld. In den vergangene Jahren hat er für Chanel bereits Cruise-Shows in Dubai, Saint-Tropez, Texas oder Seoul gezeigt, doch dieses Mal bat Kaiser Karl eine ausgesuchte Schar von Gefolgsleuten und Journalisten nach Havanna. Es war das erste Ereignis dieser Art seit 1953. Für diese Premiere liess Chanel den Paseo del Prado sperren, Kubas schönste Strasse, und darauf sechs Dutzend Models defilieren. Der Paukenschlag errang weltweite Aufmerksamkeit, und es war wohl kein Zufall, dass gleichentags das erste amerikanische Kreuzfahrtschiff seit vierzig Jahren in Havanna anlegte. Der Westen – und mit ihm der Materialismus – ist in Kuba angekommen, wo sich der Kommunismus gerade durch die Hintertür davonschleicht.

Louis Vuitton liess sich diese Saison auch nicht lumpen: Die Fans des französischen Labels wurden nach Rio de Janeiro geflogen. Dort wurden für ein paar Tage Korruptionsskandale, die zusammenbrechende brasilianische Regierung und die um sich greifende Krise ausgeblendet und der Blick auf die wunderbar futuristische Architektur Oscar Niemeyers gerichtet. Auf der Rampe und rund ums Niterói Contemporary Art Museum sahen gut 500 handverlesene Gäste unter freiem Himmel die neuesten Ideen des Vuitton-Designers Nicolas Ghesquière. Er sieht die Zukunft betont sportlich und farbenfroh.

Doch nicht nur in Südamerika und in der Karibik ging diese Saison die Post ab. Auch in „good old England“ wurden spektakuläre Cruise-Shows inszeniert. Christian Dior brauchte sein Publikum mit eigens zu „Dior Express“ umgepinselten Orient-Express-Zügen ins berühmte Blenheim Palace, eines der schönsten Schlösser des Landes. Leider vermieste der für England typische Regen das Dior-Spektakel ein wenig, doch das eigentliche Kernstück des Ereignisses, die Show, fand in den trockenen Gängen des Palastes statt. Die Looks, welche das Schweizer Duo Lucie Meier und Serge Ruffieux zeigten, wurden von den Gästen freundlich aufgenommen, wenngleich der Marke seit dem Weggang von Raf Simons natürlich eine kreative Gallionsfigur fehlt.

Auch Gucci setzte auf englische Exzentrik und zeigte seine Cruise-Show Anfang Juni in der Londoner Westminster Abbey. Kreativchef Alessandro Michele, derzeit einer der High-Flyer der internationalen Modewelt, hatte sich die altehrwürdige Abtei ausgesucht, um dort eine „Hommage an die Queen und den englischen Stil“ zu zeigen. Hier, wo traditionsgemäss die englischen Könige beigesetzt werden, zeigte Gucci eine recht lebendige, exzentrische Show voller Tartan-Checks, Faltenröcke, Union Jacks, Kopftücher und dekorierter Handtäschchen. Die Entwürfe werden ab November als limitierte „Gucci London“-Linie in den Handel kommen.

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Natürlich sind Spektakel wie jenes von Gucci in London nicht nur ein modisches Statement, sondern auch immer ein Schaulaufen der Society. Im Dutzend werden Stars und Sternchen herbeigeschafft, um vor und nach der Show für die Celebrity-Presse zu posieren, natürlich von Kopf bis Fuss bereits in die neuen Entwürfe gekleidet. So sichert man sich auch die Gunst der Celebrity-Glossys, die mit ihrer „Hofberichterstattung“ aus dem Leben der Schönen und Reichen oft über eine viel grössere PR-Wirkung haben als klassische Modemagazine.

Die Cruise-Saison boomt. Die Branche bekommt zwischen den Hauptterminen die erhoffte Aufmerksamkeit – allerdings zu einem hohen Preis. Mittelfristig könnte der neue Fokus auf die Cruise-Kollektionen auch dazu führen, dass die klassischen Fashion Weeks an Substanz verlieren. Denn nur wenige Marken – Chanel etwa – können es sich leisten, neben den Cruise-Spektakeln auch noch zwei Mal im Jahr eine grosse Schau in Paris, Mailand oder New York zu zeigen. Bereits übel erwischt hat es London, wo mit Burberry die bekannteste Marke des Landes verkündet hat, künftig nur noch eine einzige Schau pro Saison zu zeigen, in der Damen-, Herren- und Nebenlinien zusammengefasst sind.

Die derzeit so gefeierten Cruise-Shows können auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mode ein sehr viel tiefer reichendes Problem hat. Sie ist inzwischen so omnipräsent und beliebig verfügbar geworden, dass kein Hahn mehr nach ihr kräht. Die permanente Verfügbarkeit eines krassen Überangebots an Kleidung und der damit verbundene Preiszerfall haben dazu geführt, dass sich viele Menschen ganz von der einst so wichtigen Idee gelöst haben, „mit der Mode“ gehen zu wollen. Auch hat sich die Relevanz von „Luxus“ verändert. Weil vieles, was unter dem Etikett angeboten wird, dem hohen Versprechen bei kritischer Prüfung nicht standhält. Diesen Missstand wieder ins Lot zu bringen wird die Modebranche ein bisschen mehr kosten als ein paar Hundert Business-Class-Flüge auf eine exotische Insel.

(Titelbild dieses Beitrags: Olivier Saillant für Chanel, gefunden bei Horstson.de)

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