We think about showbusiness

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Am Wochenende die ‚Mode Suisse‘ besucht … Und viele zeitgenössische Labels auf dem ‚Laufsteg‘ gesehen (der ja streng genommen keiner war, weil ebenerdig vorgeführt wurde). Die Location war toll, die Tageszeit auch, nämlich mittags und bei Tageslicht. Das Protokoll der Ereignisse haben wir ja in zwei Teilen bereits verfasst – hier geht’s zum ersten Block mit acht Kollektionen, hier zum zweiten Showteil und zu den People-Fotos aus der Pause. Was aber bisher noch fehlte, war eine Form der Standortbestimmung und konstruktiven Kritik für die gezeigten Designer.Und weil wir gerade noch schöne Fotos von Le Bon dazu bekommen haben – un grand merci! –wollen wir das nachreichen.

Als Mensch, der praktisch jeden Monat irgendwo in der Welt am Laufsteg sitzt, 1988 schon die ‚Saft‘ in Zürich und später die ‚Gwand‘ in Luzern besucht hat; als einer, auch die ‚Swiss Fashion Show‘ und den ‚Barclay Catwalk‘ gekannt hat, vom Prix Bolero und diversen lokalen Bühnen ganz zu schweigen, massen wir uns an, das zu dürfen. Wer die letzte Show von Yves Saint Laurent in Paris gesehen hat und zu den ersten Schauen von Haider Ackermann, Raf Simons oder Alexander McQueen live dabei war, der darf den einheimischen Youngstern vielleicht einen Tipp geben, wie es weiter gehen könnte? Also gut.

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Eine Superlocation: Die denkmalgeschützte, 15 Meter hohe Giessereihalle des Puls 5 in Zürich. (Foto: Le Bon)

 

Darum hier zehn konstruktive Tipps, wie Schweizer Designerschauen weiter wachsen und noch besser werden könnten:

1. A show is a show! Eine Modenschau ist dazu da, Emotionen zu erzeugen, die Menschen zu verzaubern und für einen kurzen Moment aus dem Alltag zu entführen. Sie ist ein kurzes Bühnenstück mit Dramaturgie, Energie und einer nachvollziehbaren Story. Es kann poetisch, verträumt oder energiereich und heftig sein – Hauptsache, man spürt etwas. Dagegen bringt es nichts, auf dem Laufsteg eine komplette Garderobe bzw. die ganze Kollektion vorführen zu wollen und denselben Mantel in drei Farben zu wiederholen. Es geht nicht darum, eine Fleissarbeit zu dokumentieren, sondern eine Idee zu projizieren.

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Experimentelle Menswear von Absolventen der HEAD in Genf. (Foto: Le Bon)

 

2. Make your statement clear. Eine Modenschau muss auch dem, der nicht ins Programmheft geschaut hat oder sich schon mit der DNA des Designers befasst hat, glasklar machen, wofür ein Label bzw. eine Kollektion stehen soll. Die Message der Saison bzw. der Markenkern muss so deutlich herausgearbeitet sein, dass es jedem verständlich ist, worauf es hinaus läuft. Schweizer Designer bleiben diesbezüglich oft unscharf bzw. Zeigen sich mal so, mal so. Nur gefestigte Topmarken wie Prada können es sich leisten, ihre Fans jede Saison wieder aufs Neue zu verwirren und herauszufordern.

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Silhouette mit schnuckeligem Boomer von En Soie. (Foto: Le Bon)

 

3. Think about Styling. Models sehen zwar meistens gut aus – das hilft schon mal erheblich, wenn es darum geht, eine Idee zu verkaufen. Doch es braucht mehr als nur ein bisschen Frisur und Make-up, um aus den schönen Vorführpuppen auch wirklich Charaktere in einem Bühnenstück zu machen. Getreu dem Punkt 1 – a Show is a Show – plädieren wir für mehr Sorgfalt und Kreativität in Sachen Styling und Inszenierung der Models. Es darf ruhig intensiv sein, wie das Ganze dann später auf der Strasse aussehen könnte, kann man später einmal angehen.

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Mrs. Nadine Strittmatter gets ready … (Foto: Le Bon)

 

4. Forget the buyer. Ja, es ist theoretisch möglich, dass irgendwo im Publikum ein paar Einkäufer sitzen, die nach neuen Labels suchen, die zu ihrem Sortiment passen. Doch auch diese Einkäufer kommen nicht an eine Show, um ein paar schlichte Basics in gedeckten Tönen vorgeführt zu bekommen, sondern um zu träumen und ein bisschen aus ihrem merkantilen Alltag zu fliehen. Auch Einkäufer wollen verblüfft und verführt werden. Später im Showroom kann man immer noch die Basics hervorholen. Sonst sieht so eine Show allzuschnell nach Düsseldorf aus.

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Silhouette von Huber/Egloff. (Foto: Le Bon)

 

5. Don’t be afraid of colour. Schon klar: Grau, Schwarz, Navy, Sand und Crème sind kommerzielle Farben, die man gut verkauft. Aber muss man sie deswegen auch auf dem Laufsteg bemühen? Modenschauen finden oft in dunklen oder neutralen, von gleissendem Licht beleuchteten Orten statt. Es ist schon genug an Neutraltönen da. Auf dem schönen grauen Betonboden der Mode Suisse sah man bei Lela Scherrer, Kazu Huggler oder Huber/Egloff sehr deutlich, welch belebende Wirkung starke Farben in einer Show haben. Wer Farbe braucht, gewinnt – die Mode hat man ja eh auf seiner Seite.

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Silhouette von Kazu Huggler. (Foto: Le Bon)

 

6. Add energy through music. Oft werden Modenschauen in der Schweiz mit leicht depressiven, schleppenden Klangteppichen versehen, welche der ohnehin spröden Übung noch mehr Gravität verleihen. Wir verstehen das nicht. Warum nicht mehr Beats, Tempo, positive Power … Oder gar eine Melodie, die man kennt?! Muss man seine künstlerischen Qualitäten denn ums Verrecken damit illustrieren, dass man auch in der Musik die osbkursten Ecken schon ausgeleuchtet hat?

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Links: Yannick Aellen, Initiant der Mode Suisse. (Foto: Le Bon)

 

7. Be short and intense. Es gibt nichts mühsameres als Shows, die ewig dauern, weil der Designer seinen grossen Moment maximal ausnutzen will und dieselben Models fünfmal hin und her über die Planken schickt. Dann lieber eine Show, die kurz und knackig ist und bei der man am Ende nicht dankbar ist, wenn das letzte Modell vom Laufsteg geht, sondern man noch mehr sehen möchte. Es sollte wie in einem richtig guten Restaurant sein: Am Schluss hätte man noch Lust auf etwas extra.

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Eine Silhouette einer Absolventin der HEAD in Genf. (Foto: Le Bon)

 

8. Mind the shoes! Ich weiss nicht so recht, warum so viele Schweizer Designer beseelt zu sein scheinen von der Idee, eine Modenschau mit möglichst klobigen und schwerfälligen Schuhen ausrüsten zu müssen. Wenn die Schuhe um jeden Preis speziell sein sollen, gucken die Leute am Ende doch nur dorthin? Dabei ginge es doch um Kleider? In grausiger Erinnerung ist eine Situation vor einem halben Jahr, als die Holzsohle eines selbst gebastelten Zockels sich während des Defilées selbständig machte und das Model dasTeil hinter sich her schleifte. Also: Manchmal wäre weniger mehr. Bei den Schuhen darf man getrost zu High-heels greifen, auf denen Models auch gehen können. Ausser man ist Schuster und will etwas anderes bezwecken.

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Laufsteg-Pikanterien von Lyn Lingerie Zürich. (Foto: Le Bon)

 

9. Work in three dimensions. Leider sehen zu viele Kollektionen noch immer so aus, als wären die Ideen direkt vom Skizzenblock in relativ eindimensionaler Denkweise auf den Körper gebracht worden. Die Looks haben oft keine interessanten Kehrseiten, und schon gar keine dreidimensionalen oder gar skulpturalen Qualitäten. Bei einer Modenschau sieht man die Entwürfe in den seltensten Fällen frontal von vorne, wie es die Fotografen tun, sondern von der Seite oder von hinten. Daran sollte man denken. Es muss gekonnter drapiert und geschnitten werden! Das Zeug muss sitzen.

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Schlussbild von Marc Stone. (Foto: Le Bon)

 

10. Forget every rule. Und schliesslich die wichtigste Regel von allen: Wer alle neun oben aufgeführten Punkte befolgt, wird noch immer keine wirklich weltbewegende Modenschau auf die Bretter zaubern. Darum muss man alles vergessen, was man weiss und gesehen hat – und versuchen, etwas wirklich Neues zu wagen. Aber wagt doch wenigstens mal etwas! Kann auch in die Hosen gehen, klar … aber für brave Kleidervorführdefilées investiert heute doch keiner mehr Geld oder Zeit?

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Claudia Zuber featuring Griesbach an der Mode Suisse Edition 5. (Foto: Le Bon)

 

Nachbemerkung des Autors: Die gezeigten Fotos von Bon Parinya Wongwannawat alias Le Bon zeigen Silhouetten, die an der Mode Suisse Edition 5 gezeigt wurden. Die Looks haben nicht direkt mit den jeweiligen Punkten des Textes zu tun.

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