Where do we go from here?

FullSizeRender-2

Ich hatte im Rahmen des SRF-4-Medientalks mit Salvador Atasoy die spannende Aufgabe, über Geschichte, Zustand und Zukunft des Lifestyle-Journalismus in der Schweiz nachzudenken. Anlass des Interviews war die Tatsache, dass Ende Januar 2019 der halben Belegschaft der Zeitschrift «annabelle» gekündigt wurde. Es muss darum befürchtet werden, dass nach «Bolero» (Ringier Verlag) auch die letzte ernstzunehmende Bastion des engagierten Mode-Journalismus in der Schweiz in sich zusammensackt und verschwindet. Man erinnert sich: «Bolero» ist nunmehr eine periodische Verlagsbeilage zur «Bilanz».

Ich habe selber in den neunziger Jahren bei «annabelle» gearbeitet und diese Zeit an der Baslerstrasse in positiver Erinnerung. Chefredaktorin war damals Angela Oelkers, die mich gefördert, unterstützt und mit geformt hat. Als junger Mann bei der «annabelle» zu arbeiten war damals noch leicht eigenartig. Es gab im Reportage-Ressort zwar auch ein paar männliche Kollegen (etwa den hochbegabten Matthias Mächler), aber im Lifestyle war ich damals der einzige. Es war eine tolle Zeit. Die «annabelle» beschäftigte damals sicher 50 Mitarbeiter. Unsere Mitbewerber waren das viel kleinere «Bolero», das biedere «Meier’s Modeblatt» sowie eine Reihe kleinerer Titel mit eher regionalem Charakter. Sprich: Wir waren die Leitkuh im Stall, und entsprechend gut lief es auf der Anzeigenseite.

Heute sind die Anzeigen um über 50 Prozent eingebrochen und bei annabelle noch drei Dutzend Mitarbeiter angestellt – davon fliegt jetzt die Hälfte raus. Es darf angenommen werden, dass der Verlag Tamedia im Zuge dieser «Kostenkorrektur» den Rest der verbleibenden Belegschaft in einem Lifestyle-Newsroom mit den KollegInnen von Friday, 20 Minuten und Tages-Anzeiger fusioniert, damit diese künftig alle Titel und Web-Plattformen, inklusive regionaler Modebeilagen, mit ihren Beiträgen bestücken. Eine eigenständige Redaktion, die im Dienste der Aufklärung und der Emanzipation tätig ist, wird dann nicht mehr existent sein. Man weiss auch: Es sind bei solch drastischen Einschnitten oft nicht die besten Mitarbeiter, die noch an Bord bleiben, sondern die mit dem zähesten Sitzleder.

Die Entwicklung stimmt mich nachdenklich, denn die «annabelle» war immer mehr als nur ein Vehikel, um Anzeigen im Mode- und Luxusmarkt abzugrasen. Die «annabelle» hatte und hat eine Mission, eine gesellschaftliche Aufgabe – und die umfasst mehr als das Geldscheffeln für die Verlagsverantwortlichen. Es geht um die Position und Rolle der Frau in der Gesellschaft, und diesbezüglich ist noch lange nicht alles gesagt, im Gegenteil: Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir in diesen Dingen in den letzten Jahren eher ein paar Schritte zurück statt vorwärts gemacht haben, die #metoo-Welle mal ausgenommen. Eine neue Generation von Frauen scheint abgekoppelt vom Diskurs der Selbstbestimmung, und da gäbe es dringend etwas drüber zu sagen.

DSCF4140

Der «Medientalk» von SRF4 stellte die These auf, dass mit dem Aderlass bei der «annabelle» der engagierte Modejournalismus in der Schweiz am Ende sei und mit einer Berichterstattung jenseits von Publireportage, Anzeigenkunden-Befriedigen und Sponsored Content nicht mehr lange zu rechnen sei. Das ist eine düstere Perspektive – doch es könnte sein, dass Salvador Atasoy, der als Sohn der langjährigen «Bolero»-Chefredaktorin Sithara Atasoy präzise Insights und Kenntnisse des Metiers hat, nicht übertreibt. Ich habe in den letzten Jahren selber erlebt, wie die Lifestyle-Journaille immer weiter ausgehöhlt und eingedampft wurde und heute kaum noch neue Impulse in diesem Bereich zu sehen sind.

Das betrifft auch meinen langjährigen Arbeitgeber «NZZ», wo ich seit 2003 tätig war und in der Zeit bis zirka 2011 spannende Entwicklungen begleiten durfte (etwa den «Stil»-Bund der NZZ am Sonntag – der später dummerweise im spiessigen Broschürenformat umgestaltet wurde –, oder die Luxusbeilage «Z», die schon zum Zeitpunkt ihrer Lancierung ein relativ schamloses, wenn auch lukratives Vehikel zum Abschöpfen von Anzeigen-Franken war). Bis heute ist «Z» eine Cash Cow der NZZ-Gruppe – leider aber wird die grossformatige Hochglanz-Beilage noch immer von den Lesern nicht richtig gemocht. Man hat es mit einer kleinen Politur versucht, doch Tyler Brûlé hat das Blatt nur noch distanzierter aussehen lassen.

page_1 (1)

Zwischenzeitlich haben wir bei der «NZZ» mit der Doppelseite «Soll & Haben» in der NZZ-Tagesausgabe und der Lancierung des «Gentlemen’s Report» noch neue Ideen mit Anspruch ausprobiert, doch seit bald zehn Jahren ist auch an der Falkenstrasse keine echte Innovation in diesem Bereich mehr gefragt. Man begnügt sich mit dem Verwalten des Status Quo und dem Optimieren der Kosten und Erträge. Eine längst überfällige Fusion der Sonntags-Beilagen «Gesellschaft» und «Stil» etwa, die nahe läge, kam nie vom Fleck – aus Furcht, damit die letzten verbliebenen Werbekunden (vornehmlich Kreuzfahrt-Veranstalter) zu verschrecken.

page_1

Es ist also wohl etwas implodiert, wie der SRF-4-«Medientalk» vermutet. Zudem sind seit zehn Jahren viele neue Akteure auf den Plan getreten, die sich online und auf eigene Faust als «Influencer» betätigen und die wenigen verbliebenen Werbefranken in dem Bereich für sich reklamieren. Sie werden von den Marketing-Verantwortlichen der Luxusfirmen gerade sehr umtänzelt und umgarnt – wie nachhaltig diese Begeisterung ist, muss sich noch weisen. Die etablierte Lifestyle-Journaille hat es nicht geschafft, diese neuen, teilweise recht kreativen Akteure unter ihre Fittiche zu nehmen – stattdessen wurden sie lange bekämpft. Statt eigene Autoren als Influencer aufzubauen, hat man auf diese Szene herabgeschaut. Ein weiterer, folgenschwerer Fehler einer Branche, die sich nicht mehr erneuert hat, sondern sich darin begnügte, das Erreichte zu verwalten und gemütlich älter zu werden. Dass das nicht genug war, zeigt sich jetzt schonungslos.

Foto-21

Zurück bleibt die Erkenntnis: Mode-Journalismus, wie er mal war, ist passé. Dafür gibt es keinen Markt und keine Abnehmer mehr. Aber zurück bleibt auch die Frage: Was tritt an seine Stelle? Wir meinen: Es gibt auch heute noch Platz für Neues. Andere Formen, Mischungen, Kombinationen. Man muss es eben wagen und probieren. Neue Akteure mit altem Know-how neu vermischen. Substanz mit eitlem Tanz vermengen. Das geht. Schade nur, dass es kein grosser Verlag wenigstens probiert.

Be first to comment