Half a life in textiles & fashion

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Auf dem Zug nach Mailand durch die Schweizer Alpen gondelnd mal wieder ein bisschen resümiert und räsoniert – weil man auf der Fahrt Zeit hat und weil ich vor kurzem mein fünfzigstes Lebensjahr angefangen habe (aber halt: noch nicht den 50. Geburtstag gefeiert, das folgt erst in einem Jahr). Dabei habe ich doch einigermassen verblüfft festgestellt, dass ich mich nun bereits über die Hälfte meines bisherigen Lebens hauptberuflich mit Mode und Textilien befasse. Das ist nicht wenig. Aber noch lange nicht genug!

Auf die Frage, ob mir das Thema nicht mit der Zeit fade würde, entgegne ich jeweils gerne, dass mich Mode und Stoffe sicher auch noch die nächsten 25 Jahre erfreuen und beschäftigen werden. Sie sind schliesslich ein absolut essenzieller Bestandteil des menschlichen Daseins. Erst dank Stoffen und Kleidung war der (Ur-)Mensch in der Lage, sich ausserhalb jenen Klimazonen zu bewegen, die für sein nacktes Überleben geeignet sind. Erst bekleidet hat Homo sapiens die Welt besiedelt. Und erst die Kleidung hat ihm jene Formen des individuellen Ausdrucks verschafft, die wir heute als wichtigen Teil unserer Kulturen ansehen. Kleidung und Textilien sind also sicher keine Nebensache, und auch kein Ausdruck von Dekadenz. Sie mögen derzeit oft so daherkommen, doch im Kern geht es um etwas zutiefst menschliches und wichtiges.

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Foto: © Stephan Sonderegger für Criterion

Mode ist nur ein winziger Teil des ganzen Spektrums, das mich begeistert – und vielleicht nicht einmal das wichtigste. Denn der schnelle Wechsel, die Wegwerfmentalität und das Hü & hott, das für zeitgenössische Mode typisch ist, sind mir zunehmend fremd. Immer mehr interessieren mich die langfristigen Linien und das, was daran länger haltbar bleibt. Ich habe ganz stark das Gefühl, dass wir an der Schwelle zu einer Renaissance von Handwerk und Haltbarkeit stehen. Es ist inzwischen eine kritische Masse von Menschen, die sich vom blödsinnigen Konsum abwendet und sich fragt, ob es auch anders geht. Vielleicht erlebe ich es noch, dass wir auch wieder in der Schweiz Stoffe fertigen, Kleidung nähen und eine Mode tragen, zu der man wieder einen emotionalen Bezug hat, weil man jene Menschen kennt, die sie geschaffen haben. Man wird ja träumen dürfen.

Rückblickend waren die zurück liegenden 30 Jahre ein super-spannender Wechsel von Perspektiven. Ich begann in den frühen neunziger Jahren als frisch diplomierter Modedesigner und musste feststellen, dass diese Branche gerade zusammenbricht, weil die vertikalen Grossisten in Mode kamen. Für Design «made in Switzerland» wurde es immer enger. Also versuchte ich mich im Journalismus und reüssierte dort als Reporter mit dem Themenschwerpunkt Mode & Stil. Ich erlebt noch die letzten Ausgaben der Mode-Plattform „»SAFT» (Swiss Avantgarde Fashion Trends) und war an vorderster Front mit dabei, als die «Gwand» in Luzern einige Jahre verzweifelt versuchte, diesen Geist am Leben zu halten und schliesslich doch mit wehenden Fahnen unterging. Darauf folgte der «Swiss Textiles Award», den ich als Berichterstatter für Magazine wie Annabelle, Bolero und später lange Jahre für die NZZ kommentierte, bevor auch dieses Format 2011 nach elf Jahren verschütt ging. Inzwischen berichte ich regelmässig über die «Mode Suisse», die ich als Format und Bühne als richtig und wichtig anschaue.

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Ich habe Designer kommen und gehen sehen und oft intensiv mit ihnen gefühlt, weil ich beide Seiten dieses Daseins kenne: Den Glamour der grossen Bühnen, die tollen Porträts in den Heftchen – aber auch das oft brotlose Schaffen, die schwierigen Umstände, etwas produziert zu bekommen und das mangelnde Verständnis einer Wirtschaft, die diese Akteure gerne als Spinner am Rande des Notwendigen abkanzelt. Manche sind tatsächlich Freaks, und diese habe ich auch oft so benannt (einige verzeihen dies bis heute nicht) – aber die meisten sind einzigartige Persönlichkeiten, die Beachtung, Achtung und Aufmerksamkeit verdienen. Sogar mit Paradiesvogel Damian von Lichten, der Mitte der neunziger Jahre die stets recht abenteuerlichen «Swiss Fashion Shows» veranstaltete, verbindet mich heute eine warmherzige Erinnerung.

2019 bringt einen neuen Wechsel: Das Mediengewerbe, in dem ich rund 25 Jahre gute und spannende Positionen innehatte, ist am Zusammenbrechen. Ambitionierten Lifestyle-Journalismus gibt es heute kaum noch, die Formate sind geschrumpft oder eingestampft, online ist leider bis dato kein wirkliches Geschäft zu machen. Es gibt noch Aufträge als Gast-Autor (hier etwa ein Beitrag aus dem «Schweizer Monat»), aber davon könnte man nicht mehr leben. Ich erlebe also zum zweiten Mal den Kollaps meines beruflichen Umfelds – und finde dies eigenartigerweise gar nicht bedrohlich, sondern befreiend. Ich habe immer gedacht, dass es mich eines Tages vielleicht wieder ins Handwerk zurück verschlägt, und so ist es nun: Ich finde grossen Spass daran, wieder selbst kreativ tätig zu sein und stelle mit meiner täglichen Arbeit bei Cabinet in Zürich fest, dass es dafür auch ein Publikum gibt.

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So habe ich inzwischen einen eigenartigen und vielleicht einzigartigen Erfahrungsschatz im Bereich der Mode und Stoffe – praktisch wie theoretisch. So langsam ergibt sich im Kopf ein komplettes Bild der Möglichkeiten, die sich auch heute bieten. Und wie gesagt: Ich habe das Gefühl, dass es tendenziell wieder mehr werden. Ich sehe das auch im Rahmen meines Mandats als Reporter für den Verband Swiss Textiles – ich besuche regelmässig Akteure der Schweizer Textil- und Designwelt und bin immer wieder fasziniert davon, wie sich auch dieser Branche, die sich in den letzten Jahren extrem verändert hat, wieder neue Türen auftun. Das heisst: Wir bleiben weitere 30 Jahre dran an dem Lebensthema! Mit Freude und Lust am Faden, der weiter gesponnen wird. Symbol für dieses ungebrochene Interesse am Textil ist die alte Schneiderschere im Titelbild dieses Beitrags – sie gehörte einst meinem Grossvater, der Schneider war und seine Schere zu seiner Pension an mich weitergab, als sich früh in meinem Leben abzeichnete, dass ich in die Mode gehen würde.

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