Dieser Tage habe ich mich etwas eingehender mit dem modernen Phänomen der «Influencer» beschäftigt – für jene, die die letzten fünf Jahre hinter dem Mond gelebt haben: Das sind jene Menschen, die auf Social Media viele Follower haben und diese Reichweite kommerziell nutzen, um im Auftrag von Unternehmen und Dienstleistern Produkte oder Services anzupreisen. Sie inszenieren ihre Begeisterung in der Regel mit einer sorgfältig dosierten Natürlichkeit und Authentizität, damit jene, welche diesen Influencern folgen, das Gefühl bekommen, eine Art virtuelle Freundschaft zu pflegen. Ihr Einfluss auf die Zielgruppe (Influence) ist ihr Kapital. Ich habe bereits mehrfach über das Thema geschrieben, etwa HIER oder im Mai 2018 bei NZZ Bellevue.
Anlass meiner Gedanken, die ich nachfolgend etwas geordnet habe, war die Anfrage einer jungen Gymnasiastin an der Schweizer Schule in Bangkok, die gerade ihre Semester-Arbeit zum Thema Influencer schreibt. Vermutlich werden weltweit derzeit rund die Hälfte der Matura-Arbeiten zu diesem Thema geschrieben, weil das Lebensmodell des Influencers gerade bei jungen Leuten sehr hoch im Kurs ist – man hat das Gefühl, dass Teenager heute Influencer oder Youtuber werden wollen, aber sicher nicht Bäcker, Schneider, Hochbauzeichner, Zahnarzt oder Ingenieur (gilt für beide Geschlechter).
Die zentrale Frage des Interviews, das ich gab, war: Warum sind Jugendliche derzeit so besessen von Influencern, und warum ist die Werbewirtschaft fast gleichermassen angetan von diesen freischaffenden Stil-Orakeln?
Meine Meinung: Influencer sind heute – zumindest im Moment – unverzichtbare Referenzen und Taktgeber in Sachen Stil und Lebensart. Sie haben, um erst mal vorweg das Positive zu sagen, die Medienwelt verändert und den Stil-Diskurs belebt. Ihr Tun hat dazu geführt, dass die Zielgruppe gut informiert ist – ganz egal, ob sie im hintersten Winkel der Welt oder mitten in der grossen Stadt wohnt. Die grosse weite Welt des Glamours ist dadurch etwas demokratischer und zugänglicher geworden. Sie haben die etablierten Medien vom hohen Ross geholt. Die Masche der Influencer ist allerdings die gleiche, die früher Mode- und Frauenmagazine drauf hatten: Sie spielen ihren Kunden eine perfekte Welt von Spass, Glamour, permanenter Gaudi und Inspiration vor …
… tatsächlich sitzen die Influencer aber stundenlang einsam vor ihren Smartphones, um diesen ganzen Zauber sorgfältig zu inszenieren. Wer diesen digitalen „Handwerkern“ schon einmal bei ihrer Arbeit zugesehen hat, der weiss, dass es ganz schön eintönig und anstrengend sein muss, stets cool auszusehen, immerfort zu posten, glamourös zu sein und am Like-Barometer zu hängen. Oder wie es Mr. Donald formulierte, ein alter Bekannter, der schon jahrelang in der Modebranche unterwegs ist: Wenn man eine Party mit Influencern schmeisst, sieht es am nächsten Morgen wie das tollste Ereignis der Welt aus – tatsächlich war es aber hochgradig langweilig, weil alle nur an ihren Smartphones hängten, Selfies machten und um elf Uhr ins Hotel gingen, um die Nacht lang Bilder zu bearbeiten.
Für die etwas erfahreneren Beobachter sind Influencer darum oft nur jämmerliche Witzfiguren, die ihre Haut verkaufen und in den seltensten Fällen eine echte eigene Meinung haben. Um ihre Verachtung für diese Akteure zu illustrieren, schütten die Älteren fassweise Häme und Spott über die Influencer-Szene aus. Was natürlich bei der Zielgruppe gar nicht ankommt und entsprechend sinnlos ist. Es erzeugt nur Missstimmung. Ausserdem gibt es unter den vielen Hunderttausenden selbst ernannten Einflussnehmern einige, die echt originell und inspirierend sind.
Persönlich besorgt es mich dennoch, dass sich heute nur noch wenige Jugendliche Gedanken über einen „echten“ Beruf mit Perspektive machen, sondern einfach nur Influencer oder Youtuber werden wollen. Das ist naiv und führt zwangsläufig zu Enttäuschungen. Denn auch wenn jedem die Tools zum Infleuncer-Dasein zur Verfügung stehen (Smartphone, ein paar Filter und Apps) – nur einer von 50’000, die es versuchen, wird als Influencer auch reüssieren. Da ist man doch besser beraten, einen richtigen Job zu erlernen?
Das Phänomen muss darum unbedingt ein Thema in der Schule und der Elternarbeit (Erziehung) sein. Man muss sich mehr denn je mit den Kids beschäftigen, ihnen Aufgaben geben, sie herausfordern, inspirieren, motivieren und ihnen zeigen, dass auch das „echte“ Leben ausserhalb der virtuellen Dimensionen viel Abwechslung und Überraschung zu bieten hat. Denn man weiss, dass Social Media auch zu Suchtverhalten und Abhängigkeiten führt, und dies führt wiederum zum Gefühl von Orientierungslosigkeit, individueller Wertlosigkeit und anderen psychischen Problemen. Da kommt noch ordentlich etwas auf uns zu!
Ausserdem denke ich, dass es irgendwann einen „backlash“ geben wird, dass eine nachfolgende Generation die Online-Sucht der jetzt jungen Leute abstossend findet und sich für einen anderen Lebensstil entscheidet. Vielleicht wird diese Generation auch bewusst wieder auf diese falschen Formen der Einflussnahme verzichten, weil sich alles entzaubert hat? Bis dahin hat der raffgierige Mark Zuckerberg aber vielleicht schon sein eigenes Kartenhaus zum Einsturz gebracht, weil er immer mehr und schamloser Werbung ausspielt und damit seinen Plattformen jeden Reiz raubt.
Ich habe keine abschliessende Antwort. Und ich wage auch keine Prognose. Manche sagen, dass das Thema in fünf Jahren schon tot ist – das angesehene Modeportal Business of Fashion gehört zu jenen, die dieser Meinung sind. Ich wage diesbezüglich keine Ansage, denn erfahrungsgemäss halten sich gerade die Zeitgeist-Phänomene, die man als Plage empfindet, besonders lange.
PS: Die Fotos zu diesem Beitrag schoss ich an der London Fashion Week im Jahre 2015.