Men on the move

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Meine neueste Kolumne für das auflagenstarke «Inside»-Magazin der Firma PKZ ist dieser Tage erschienen. Sie handelt vom Wandel der Männermode – eines meiner zentralen Themen. Hier ist sie:

Es stimmt gar nicht, dass die Mode sich dauernd und willkürlich ändert, das Gegenteil ist der Fall: Wirklich bedeutende Änderungen der Bekleidungsgewohnheiten dauern oft recht lange, bis sie im Mainstream an- kommen. Das sieht man etwa an der 1881 in London gegründeten «Rational Dress Society», einer damals neuen Bewegung für die modische Befreiung der Menschen. Offenbar lag zu dieser Zeit viel Neues in der Luft: Das Künstlergenie Pablo Picasso war geboren und Edisons Glühbirne eben erst erfunden worden.

Die vor 140 Jahren formulierten Forderungen der «Rational Dress Society» umfassten: 1. die Freiheit der Bewegung, 2. Druckfreiheit für den Körper (die Frauen trugen damals noch meist Korsette), 3. der Verzicht auf unnötiges Material und Gewicht, 4. Eleganz und Schönheit, kombiniert mit praktischen Qualitäten, und 5. die Abkehr von mutwilligen Mode-Gags.

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Diese Gründungsakte liest sich doch eigentlich auch heute noch ganz vernünftig. Durchgesetzt hat sich die rationale Denkweise und Mode allerdings nicht. Schade drum. Doch im Grunde könnte man den Forderungskatalog der inzwischen verschwundenen Bekleidungsrevoluzzer auch heute noch aufstellen, man würde damit im Zeitalter der Nachhaltigkeit nicht falsch liegen.

Wirklich Neues entsteht in der Mode aber sowieso nicht, wenn ein Gremium oder ein Modeschöpfer sich etwas in den Kopf setzt, sondern wenn sich die Lebensumstände oder Gewohnheiten der Menschen ändern. Das ist nun, nach dem Pandemiezirkus der Jahre 2020 und 2021, der Fall: Bedingt durch Monate im Homeoffice, ist den Menschen das entspannte Gefühl des Jogginganzugs in Fleisch und Blut übergegangen.

«DAS NEUE OUTFIT IST SO SMART WIE EIN KLASSISCHER ANZUG, DOCH ES TRÄGT SICH WIE FREIZEITMODE.»

Und so wird nun etwas Realität, das die Branche schon seit mindestens sieben Jahren predigt, bisher aber Theorie blieb: die Kernschmelze aus Jogginganzug und Business-Suit. Das neue Outfit ist so smart wie ein klassischer Anzug, doch es trägt sich wie Freizeitmode. Dank neuer, elastischer Garne, raffinierterer Schnitte und moderer Verarbeitung ist es heute möglich, eine «Schale» so bequem zu schneidern, dass man darin den Spagat oder Turnübungen am Reck machen könnte.

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Nun könnte man natürlich die Frage stellen, warum es einen Anzug braucht, der so bequem ist wie Sportkleidung, wo es doch bereits Jogginganzüge gibt – die sollten fürs Homeoffice doch reichen? Weil es eine heftige Gegenbewegung zum Drinnensein, Zuhausebleiben und virtuellen Lifestyle der letzten zwei Jahre gibt. Weil die Menschen wieder ihresgleichen treffen wollen – privat und geschäftlich. Dabei will man smart aussehen – aber nicht so, wie smart früher war, sondern so, dass jeder sieht, dass man die letzten Monate nicht hinter dem Mond gelebt hat.

 

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