Mode Suisse, die zehnte

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„Big City Fashion“ – so umschrieb Dieter Meier, Musiker und Unternehmer aus Zürich, die Kollektion von Julia Seemann, die er eben im Rahmen der zehnten „Mode Suisse“ gesehen hatte. Meier war – wie ich auch – zu Gast an der Zürcher Plattform für Schweizer Modeschaffen. Natürlich, um die Kollektion seiner Tochter Anna fürs Familienlabel „en Soie“ zu sehen. Aber eben auch, um sich überraschen und inspirieren zu lassen. Und da, so stellten wir übereinstimmend fest, schwächelt dieses Format gerade etwas. Ausser eben Julia Seemann, die wir beide super fanden.

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Also zuerst, bevor wir herummeckern, das Positive! 

Die erste gute Nachricht: die Mode Suisse hat endlich jene strukturelle Sicherheit, die ihr gebührt – Initiant Yannick Aellen und seiner Equipe ist es gelungen, seine Sponsoren von einem langfristigen Engagement zu überzeugen, die Plattform ist laut seinem Bekunden für die nächsten fünf Jahre gesichert.

Die zweite gute Nachricht: Das Stammpublikum ist der Mode Suisse treu – der Aufmarsch der „Szene“ in der Giessereihalle des „Puls 5“ war auch dieses Mal wieder umfassend, obwohl der erste teil des Programms schon relativ früh am Montagabend begann. Dass die Habitués so zuverlässig kommen, ist der kontinuierlichen Qualität der Bühne zu verdanken.

Die dritte gute Nachricht: Die Mode Suisse hat punkto Inszenierung, Ablauf und Szenografie ein Niveau und eine Substanz, die sich mit internationalen Bühnen vergleichen darf. Die „performing acts“, welche die Schau begleiten, sind immer ein Ereignis für sich – auch dieses Mal. Eine elektronische Musikkappelle spielte ein durchgehendes Live-Set, das eine schöne Klammer für die elf Kollektionen der Haupt-Show war.

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Und dann zu den Kritikpunkten …

Erstens: Die Trennung in eine „Selection officielle“ (Hauptshow) und eine vorgelagerte, kürzere Nebenschau namens „L’autre regard“ ist für meine Begriffe keine gute Idee. Es qualifiziert manche Designer ab, ohne dass dem Zuschauer klar wird, warum diese Trennlinie gezogen wird. Zwar ist es nötig, dass die Menge der Kollektion auf zwei Blöcke verteilt wird, aber bitte nicht mittels Zweiklassengesellschaft.

Zweitens: Die Mode Suisse braucht mehr Blutauffrischung! Es zeigen in der „Selection officielle“, also Yannick Aellens Auswahl an „Stammdesignern“, die regelmässig dabei sind, zu viele Underperformer ihre Ideen. Von den gezeigten Designern mag man nun so langsam etwa die Hälfte nicht mehr sehen, weil sie offensichtlich nicht willens oder fähig sind, diese tolle Bühne besser zu nutzen.

Drittens: Es fehlt vielen der teilnehmenden Designern leider noch immer an „showmanship“ und an der zündenden Idee, eine solche Bühne auch als „act“ zu bespielen. Einfach nur ein paar dünne Models in lotternden Unterhosen eine Runde durch die Halle schreiten zu lassen ist zu wenig Ereignis. Oder ist diese Bühne vielleicht schon zu gross für das Selbstverständnis der kleinen Schweiz?

Viertens: Die „Signaletik“ des Programms lässt immer noch, und dies seit Jahren, zu wünschen übrig. Zwar gibt es ein gedrucktes Faltblatt, in dem die „running order“ nachzuschlagen ist, aber es wäre trotzdem sehr nett, wenn man den Namen des jeweils gerade seine Ideen zeigenden Designers irgendwo projizieren würde. Dies wäre auch dem „brand building“ der Designer dienlich.

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Schliesslich ein versöhnliches Wort zu den Highlights des Programms:

  1. Julia Seemann ist wirklich ein vielversprechendes Talent mit erfrischendem Modemut.
  2. Yvonne Reichmuth alias Yvy entwickelt sich mit schönen Schritten weiter.
  3. Die kreativen Impulse der Modeschulen – allen voran der HEAD in Genf (Titelbild dieses Beitrags) – bereichern das Programm sehr.
  4. Julian Zigerlis Idee, eine Anzahl behinderter Menschen auf die Bühne zu schicken, war herzerwärmend und berührend. Es war mehr als nur ein schlauer Showeffekt, sondern ein schönes Statement für mehr Offenheit und Vielfalt.

Wir wünschen der Mode Suisse viel Erfolg für die nächsten zehn Editionen!

PS in eigener Sache: Kamera erstmal seit 5 Jahren zu Hause vergessen, alle Fotos nur mit dem Handy geknipst. 

PPS vom 7.9.: Ich wurde in den letzten 36 Stunden verschiedentlich kritisiert, ich hätte mich zu sehr von Julian Zigerlis Finale emotionalisieren lassen. Das sei doch nichts Neues, Patrick Mohr habe das schon lange gemacht, in New York gab es auch schon Behinderte auf dem Laufsteg, das sähe doch zu sehr nach „Les Intouchables“ aus. Mag sein. Ich fand es trotzdem berührend. 

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