Vor nicht allzu langer Zeit war ich in Lausanne – aufmerksame Leser dieses Forums erinnern sich an die eigenartige Waschküchen-Vernissage mit den Gebrüdern Freitag & Riklin, von der ich berichtete. Nach dieser Vernissage flanierte ich noch etwas durch die Stadt, um etwas Lokalkolorit aufzuschnappen. Dazu ging inch ins verkehrsbefreite Quartier du Flon, das am belebtesten war. Hier traf ich, auf einer Schranke sitzend und in ihr Handy vertieft, die hübsche Ouissem Aggoun. Und hier kommt der Text zu dieser Begegnung.
Die junge Algerierin Ouissem Aggoun aus Lausanne trägt ein Kopftuch – nicht weil sie es muss, sondern weil es ihr gefällt.
Wenn man aus dem reichen, stets blitzbank geputzten Zürich kommt, fällt einem in Lausanne immer erst gleich der raue, proletarische und etwas abgerockte Charakter der Stadt auf. Es bröckelt und bröselt vielerorts der Putz. Auch der Bevölkerungsmix ist ein anderer als in vielen Städten der Deutschschweiz: Farbiger, multikultureller und ein ziemliches Stück jünger. Ein wenig wie Paris, nur dann privilegierter am Hang über dem schönen Genfersee gelegen.
Im Quartier du Flon, das einst ein kaputtes Viertel mit Lagerflächen und Handwerksbetrieben war und heute eine etwas artifizielle, autofreie Shopping- und Freizeitoase ist, traf ich an einem Sonntag die 16-jährige Ouissem Aggoun. Die Eltern der Schülerin kommen aus Algerien, sie ist in der Schweiz geboren und wird demnächst ihre Lehre als pharmazeutische Assistentin anfangen. Ouissem war, wie die meisten ihres Alters, sehr mit ihrem Handy beschäftigt und sass auf einer Schranke vor einem Gebäude am Rande des Flon-Viertels, aus dem laute Hip-Hop-Musik kam.
Drinnen fand ein Flohmarkt namens „Swisssneaks“ statt, an dem Turnschuh-Fans ihre Sammlungen ausbreiteten, und Ouissem Aggoun wartete auf ihre Schwester Leila, die mit einem Verkäufer verhandelte. Er wolle einfach mit dem Preis nicht runter, japste sie aufgeregt, als sie für einen Augenblick an die frische Luft trat. Ouissem Aggoun macht sich – anders als ihre Schwester – nicht viel aus den bei den Jugendlichen so gefragten „Baskets“, sagte die junge Dame schulterzuckend, sie trage lieber „normale“ Schuhe – es waren schwarze Stiefeletten.
Mein Auge blieb aber nicht an Ouissem Aggouns Schuhen hängen, sondern an ihrem Kopftuch – die junge Dame mit dem Haar und Hautton der jungen Jennifer Beals („Flashdance“) hatte sich ein Foulard lose in die gelockten Haare geknotet. Das Tuch gehört – wie auch die kurze Lederjacke – Ouissems Mutter, die es in Algerien gekauft hat. „Dort trägt man das Kopftuch aus religiösen Gründen, aber ich trage es, weil es mir gefällt und auch, weil ich gerade ein bisschen einen „bad hair day“ habe“, lächelt die junge Frau verlegen.
Modische Vorbilder habe sie nicht direkt, sagt Ouissem Aggoun, „aber Kendall oder Kylie Jenner finde ich noch cool.“ Inspirationen bezieht sie im Netz bei Instagram, „ziehe es dann aber auf meine Art an.“ Ihren eigenen Modestil zu beschreiben fällt Ouissem Aggoun allerdings schwer – es ist offensichtlich kein Thema, über das sie sich den Kopf zerbricht. Ihre Schwester ist diesbezüglich enthusiastischer: Sie weiss genau, wo sie die helle Jeans von American Apparel gekauft hat, nämlich in einem Secondhand-Laden am Parc de Milan. Und der Pullover sei von Zara, sagt Leila, „ich habe ihn gekauft, und Ouissem trägt ihn nun. So ist das halt bei uns!“