Wardrobe Revalue #1: Über den Wert von Kleidung
Es ist eigenartig, dass in vielen Dingen des täglichen Tuns und Konsumierens das Bewusstsein der Leute zwar wächst, wir in Sachen Mode aber noch immer jämmerlich hinter anderen Kategorien hinterher hinken. «Bio und regional» gehört bei Speis und Trank bereits zum guten Ton – in der Kleidung interessiert es kaum je einen, woher die Sachen kommen, wie sie hergestellt wurden und welche Folgen das für andere Menschen und die Umwelt zeitigt. Es zählt für viele nur der Preis – und die Menge, die man für sein Geld bekommt.
Es hat in den letzten Jahren eine seltsame Entkopplung von Bewusstsein und Einkaufsverhalten stattgefunden: Die Leute haben durch die Dominanz der Fast-Fashion-Industrie den Bezug zu ihrer Garderobe verloren. Der eigene Kleiderschrank ist vielen, durch den massiven Anteil von im Grunde bereits bei der Anschaffung wertloser Budget-Kleidung, so fremd geworden wie ein weggeworfenes Stück Papier im Strassengraben. Sie haben keinen Bezug zu ihrer Kleidung mehr, und auch kein weiterführendes Interesse, was diesen Aspekt ihres Lebens betrifft.
Die ausser Rand und Band geratene Modeindustrie hat unterdessen das ihre dazu getan, um die Menschen weiter in die Defensive zu treiben: Mit immer mehr Varianten und immer schneller drehenden Kollektionen hat sie die Verwirrung noch vergrössert und manche zur Gewissheit gebracht, dass man sich von diesem Blödsinn so weit wie möglich entfernen sollte.
Dabei ist Kleidung keine Nebensache und Beiläufigkeit. Sie ist, neben Sprache, Kultur und sozialen Fähigkeiten, etwas, das uns wesentlich von anderen Arten unterscheidet. Ohne Kleidung sind wir nackt und schutzlos. Wir kämen nicht weit, besser noch: Die meisten von uns würden nicht mal vor die Tür gehen. Unsere Kleidung ist ein Indikator bezüglich unserer Lebenswelt, Weltanschauung, sozialer Einbettung und unserer Träume und Ambitionen. Die Kleidung macht den Menschen erst zu dem, was er ist.
Und darum befremdet es mich, dass die Leute so wenig über Kleidung nachdenken. Mich bedrückt es, wenn sie ihre Garderobe nur als lästigen Kostenfaktor sehen, als belastenden Berg von unvernünftigen Affekthandlungen und als etwas, von dem sie sich lieber befreien würden. Wem die eigene Kleidung über den Kopf wächst, der hat, um es etwas unsensibel zu sagen, zu lange zu viel gefressen und ist dem Kotzen nahe.
Es ist sicher richtig und wichtig, wenn die Menschen langsam anfangen, sich über ihren Konsum von Kleidung Gedanken zu machen. Ein Ziel muss sein, dass wir weniger, besser und haltbarer einkaufen. Dass die Stücke wieder geliebt und gepflegt werden. Wer aber publikumswirksam zum „Fashion Detox“ und Totalverzicht aufruft, der hat zwei Sachen falsch gemacht: zu lange Mist gekauft und nicht kapiert, dass Kleidung mehr wäre als ein Gift, von dem es sich zu lösen gilt. Kleidung ist nicht wie Zigaretten, Alkohol, Cannabis oder Online-Abhängigkeit: Ohne etwas zum anziehen geht es einfach nicht. Die Menschen sollten sich besser von ihrer Reisewut, ihrem Autowahn und ihrer Obsession mit Tech-Gadgets «entgiften».
Was oft auch intelligente und kultivierte Menschen nicht begreifen ist dies: Kleidung zu kaufen ist kein Zeichen von Dekadenz und überschüssigen Zeit- und Kapitalreserven, sondern ein Moment der Selbstliebe und ein zivilisatorischer Akt. Wer sich ein gutes Kleidungsstück leistet, tut dies für sich, aber auch für seine Mitmenschen. Denn es sind ja die anderen, die ihn in diesem Teil sehen. Gute Kleidung kann die Stimmung heben, Selbstvertrauen geben, den Rücken strecken und einen erfolgreicher machen.
Welcome to «Wardrobe Revalue»!