Vor kurzem wieder mal das tolle Winterthurer Fotomuseum besucht, welches wirklich ein besonderer Ort mit internationaler Ausstrahlung und Klasse ist. Anlass für den Besuch war ein relativ neues Ausstellungsformat namens „Situations“, das dem Fotomuseum erlaubt, auch kleinere und kürzere Einblicke in das Schaffen zeitgenössischer Fotgrafen zu geben, statt immer gleich eine grosse, Hallen füllende Werkschau zu veranstalten.
Eine der jüngsten „Situations“ ist der jungen Berner Fotografin/Künstlerin Joëlle Lehmann gewidmet, die ein halbes Jahr lang die Wohnungen einer jungen Generation von Schweizerinnen und Schweizern dokumentiert hat. Sie ist dazu oft aufs Land und in die Agglomerationen gereist und hat so eine Reihe von „Home Stories“ geschaffen, die vergangenen Freitag, 8. Mai 2015 als 64-seitiges Sonderheft des Gratis-Wochentitels „friday“ erschienen sind. Dieses Sonderheft ist wirklich ein Wurf, weil das Zusammenspiel von kurzen Texten und schonungslosen, ungeschönten Bildern einen hyper-realistischen Einblick in den Alltag der Schweiz gibt. Joëlle Lehmann hat knallhart draufgehalten – auch dort, wo es weder attraktiv noch besonders, sondern einfach nur gewöhnlich ist. Sie versucht keine stilisierte Welt zu kreieren, sondern dokumentiert einfach, was ist – und das ist oft recht ernüchternd.
Noch ernüchternder ist aber die Art und Weise, wie diese Bilder im Fotomuseum Winterthur wirken: Als Collage auf einer grossen Wand aufgezogen und ohne den Kontext von Text und Magazin ist das Panoptikum der Lebenswelten von fast schockierender Tristesse. Zum Glück hat „friday“ aber einen grossen Kasten mit Magazinen aufgestellt, die den ganzen Kontext zu den Bildern liefern und so eine bessere Einordnung des Gezeigten ermöglichen. Die Ausstellung dauert bis zum 7. Juni 2015.