Was soll man von zerrissenen Jeans halten?

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Ich bin 80-jährig, habe meine Lehre in einem Konfektionsbetrieb in St. Gallen gemacht, mein ganzes Leben in und um die Textilindustrie gearbeitet. Was mich nun aber stört, ist diese Mode der künstlich zerschliessenen Hosen, von Frauen und Männern getragen. Da kommt noch dazu, dass ich dies als Affront gegenüber minderbemittelten Personen finde, die vielleicht froh wären, eine unbeschädigte Hose zu besitzen. Danke für Ihre kurze Stellungnahme. Tony B.

Mein geschätzter Kollege Thomas Widmer vom Zürcher „Tages-Anzeiger“ hat hierzu kürzlich eine recht umfassende Abhandlung geschrieben, in der er versucht, das Phänomen der zerschlissenen Hosen zu ergründen und Antworten dafür sucht, warum die Menschen willentlich kaputte Beinkleider kaufen, obwohl es auch unbeschädigte Exemplare gäbe. Sein Artikel „Man trägt wieder Loch“ war recht populär und hat auch auf Social-Media-Kanälen Wellen geworfen.

Es darf vermutet werden, dass die Zielgruppe, die diese Lochhosen trägt (maximal 29 Jahre jung, darüber wird’s fremdbeschämend) damit irgendein erotisches Signal sendet. Es muss in Zeiten von Youporn und Kardashians trotz allem noch immer als sexy empfunden werden, ein bisschen nackte Haut aufblitzen zu lassen. So sieht es in dem bereits erwähnten Artikel auch der Kollegen-Stilexperte Mark vnan Huisseling, der zitiert wird und meint, das Loch im Knie sei wie der Schlitz am Jupe, er sei ein Appetizer.

Kann man so sehen. Ich meine: Der Schlitz am Jupe hat wengistens eine Funktion, nämlich den Rock auch anziehen und tragen zu können, statt nur steif darin herumzustehen. Das Loch in der Hose hat keinen Zweck. Zur Venitlation dient es ja nicht, denn die Beinkleider sind meistens eng geschnitten. Daher meine Einschätzung, auch diese ist im „Tagi“ entsprechend zitiert worden: Es ist ein beknacktes Phänomen. „Das Loch unterteilt das Bein optisch an einer nicht unbedingt günstigen Stelle. Das sieht so aus, als sei das Knie aus der Hose geplatzt“, wurde ich bei Widmer zitiert. Ich würde die Aussagen wiederholen, wenngleich sie natürlich nicht gerade feinsinnig formuliert sind.

Noch recht schön fand ich dagegen die Taxierung der Zürcher Modemacherin Ida Gut. Sie nennt die Löcher in der Jeans „einen Schaden, der als Ästhetik empfunden wird“. Das ist sehr treffend gesagt, auch wenn es für mich inhaltlich nicht zutrifft. Und für Sie, lieber Tony, offenbar auch nicht. Lass uns hoffen, dass diese Mode wieder vorbei geht.

4 Comments

  • Antworten Juli 16, 2016

    Marc Schmid

    Ein schön geflicktes Loch ist allerdings auch ein schönes Loch! Wenn eine gute Jeans neu (ohne Löcher) gekauft und viele Jahre getragen wird, entstehen irgendwann zwangsläufig Löcher. In der Denim-Szene werden diese ja oft recht kunstvoll in aufwändiger Handarbeit geflickt. Ob einem das gefällt, ist dann schlussendlich Geschmacksache, aber ein Kleidungsstück kann so auf jeden Fall noch einige Jahre länger halten.

  • Antworten Januar 25, 2018

    wittkamp

    kallenge Jeans mit rohrstock bestrafen

  • Antworten März 15, 2018

    P.L. Steadfast

    Für mich ist dieser „Look“ ein Zeichen von grenzenloser Dekadenz. Uns geht es einfach sehr gut (zu gut?)
    Auf den Phillipinen – ländliche Gegend – wurde ich darauf angesprochen… man könne es nicht verstehen, dass jemand sogar Geld dafür ausgibt, eine kaputte Hose zu besitzen. Ihnen sei es wichtig, gut gekleidet zu sein. Die beschädigten Sachen werden bei der Arbeit getragen.

  • Antworten Juni 2, 2018

    Günter

    Alle die diese tragen müssten 4 Wochen mal so leben wie wir direkt nach dem Krieg, da schämte man sich wenn mann geflickte Hosen an hatte, weil es ja nichts gab. Sie müssten dann mal mit 2 scheiben Brot und vielleicht etwas Margerine drauf und ein klares Süppchen am Tag leben. Dann würden ihnen diese Spinnereien vergehen.
    Gruß Günter

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