Let’s talk about men

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In den vergangenen Wochen haben mich gehäuft Anfragen zum Thema Männer-Identität und männliche Garderobe erreicht – es scheint, als gedeihe die Saat der letzten zehn Jahre als Wanderprediger in Sachen Männer & Mode. Nach wie vor halte ich fast jeden Monat irgendwo einen Vortrag zum Thema Kleidung, meistens mit dem Fokus auf Männer. Hierzu gibt es auch entsprechende Angebote der Firma PKZ, die mich dafür regelmässig engagiert (hier, bitte). Beliebt sind etwa die Styling-Workshops für grössere Gruppen.

In den Vorträgen geht es um Kleidung und Etikette im beruflichen Kontext. Denn da gibt es ja immer noch ein paar Normen, die zu kennen nützlich sein kann. Anzug und Krawatte sind sicher passé, aber der Vormarsch von Smart Casual hat es für viele Männer nicht einfacher gemacht. Sie sind oft ratlos, wie man sich nun im Beruf „richtig“ anzieht. Sie wissen oft nicht, was sie mit den neuen Freiheiten anfangen sollen und nd meinen dann, dass es vielleicht okay sei, in Jeans und Hoodie ins Büro zu gehen. Ist es nicht – zumindest finde ich das. Wie Männer privat herumlaufen, ist hingegen eine andere Sache – da bilde ich mir nicht ein, irgend etwas zu sagen zu haben.

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Vor wenigen Wochen erreichte mich per E-mail die Anfrage einer jungen Frau aus Bern, die an der Schweizerischen Textilfachschule studiert und dort eine Abschlussarbeit zum Thema Männer & Mode schreibt. Aus dem Dialog mit der Studentin ergaben sich einige spannende Denkanstösse. Die Studentin befragte mich zum Megatrend „Gender Shift“ und zu „Detoxing Masculinity“ und fragte, ob diese Tendenzen auch in den Köpfen der Schweizer Männer herumgeistern.

Ich denke, dass diese neuen Impulse zur differenzierten Betrachtung von Männlichkeit gut und wichtig sind – allerdings glaube ich auch, dass sie noch nicht wirklich angekommen sind. Zwar ist die Diskussion in den Medien im Gange, aber ich befürchte, dass sie noch nicht am „Stammtisch“ stattfindet. Das braucht in der Regel erheblich länger. Noch gibt es sehr viele AAFKAMs (Alpha Animals formerly known as men). Diese wissen zwar, dass ihre Zeit abgelaufen ist, doch Tr*** und andere gerade regierenden Retro-Patriarchen geben ihnen im Moment noch das Gefühl, dass wir noch immer im Jahre 1985 leben.

Eine neue Frisur könnte schon helfen ...

Eine neue Frisur könnte schon helfen …

Eine weitere Frage lautete, ob die neuen, variantenreicheren Männerbilder zu einem neuen Modebewusstsein der Männer geführt haben. Meine Einschätzung ist diese: Ja, es gibt ein verändertes Konsumverhalten bezüglich Kleidung. Jüngere Männer sind neuen Silhouetten, Stoffen und Details gegenüber aufgeschlossener. Sie sind interessiert daran, eine gute Figur abzugeben, sie wollen schlank und modern aussehen. Das ist, gemessen an Männernbildern vor fünfzig Jahren, doch ein erheblicher Wandel. Aber es dauert langsam. Und die Veränderungen sind gering: Allein für den Wandel von drei zu zwei Knöpfen am Jackett hat die Männermode 15 Jahre gebraucht, ebenso wird es der Bundfalte gehen, wenn sie jetzt wieder zurückkommt: Es wird Jahre dauern.

Weltweit ist zu beobachten, dass der (verhältnismässig kleinere) Markt für Herrenkleidung den für Damen punkto Umsatzwachstum überholt, stellte die Studentin fest. In der Schweiz ist davon aber noch relativ wenig zu spüren. Schweizer Männer (der Durchschnitt, zumindest) kaufen noch immer nicht gerne Kleidung ein, sie delegieren dies oft an die Partnerin oder Ehefrau. Sie hassen es, selbständig etwas Neues aussuchen zu müssen – vielen fehlt dazu die Übung und das Wissen. Und sie kaufen erst dann etwas, wenn es die Umstände nötig machen, also die alte Kleidung zerschlissen ist oder das Wetter eine neue Garderobe erfordert.

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Ja,  es gibt neue Männerbilder. Es gibt die neue Androgynität. Ganz junge Konsumenten spielen mit dem Gender-Bending. Aber es ist noch lange nicht mainstream. Die grosse Masse identifiziert sich eher mit retro-romantischen Männerbildern wie dem bärtigen Holzfäller-Typ, der jetzt auch schon einige Jahre in Mode ist. Dieser Stereotyp ist unmissverständlich männlich, er lässt wenig Zweifel an seiner Wesensart und sexuellen Orientierung zu. Man gerät mit diesem Robust-Look nicht so schnell in Verdacht, von der Mehrheit abweichende Präferenzen zu haben. Amüsant ist auf der anderen Seite auch, dass bei jungen Männern mit Migrationshintergrund einst ausgesprochen schwule Mode-Statements in Mode sind, mitsamt den dazu gehörenden Marken (Dsquared, Gucci und Co.). Wenn man diesen Jünglingen aber laut sagen würde, wo die Wurzeln ihres Styles liegen, bekäme man von denen wohl rasch eins auf die Nase.

All dies zeigt doch deutlich, was ich vor kurzem auch einem Kollegen von der Zeitung SSüdostschweiz“ zu ebendiesem Thema gesagt habe: Der Mann ist im Wandel. Im Zuge der Gender-Diskussion reichen die alten biologischen Merkmale nicht mehr aus: der Zipfel in der Leibesmitte ist kein ausreichender Hinweis mehr auf seine Art. Es kann sich unter der Haut auch etwas anderes befinden. Ich bin selber keiner, aber ich habe durchaus Freude an Männern, die das Spiel mit den Geschlechtern etwas spielerischer angehen. Männer dürfen heute auch sanfte Seiten haben und feminine Elemente an sich haben.

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Der Journalist fragte mich auch, ob Männer heute denn sexy Unterhosen tragen sollten. Da zucke ich innerlich zusammen! Denn obwohl viele Männer ruhig ein bisschen mehr an sich und ihrer Wäsche arbeiten dürfen, sind die meisten doch keine Stripper, die regelmässig in Unterhosen auf Tischen tanzen. Gute Unterhosen sind prima, sie müssen aber nicht sexy sein, denn das klingt für mich eher nach gruselig-glänzenden Stoffen und knappen Schnitten. Einfache, gute Baumwolle reicht – denn sexy ist das Gesamtbild, nicht das Höschen an sich.

Noch so eine Frage? Bitte, hier kommt sie: Dürfen Männer mit kleinen Hunden spazieren gehen? Hmmm! Mir scheint zwar, dass gewisse, sehr kleine Hunde nicht gerade in einer günstigen Proportion zu gestandenen Männern stehen, aber ich würde sagen: Wenn ein Mann sich seiner Maskulinität bewusst ist und mit der Situation lässig umgeht, tut ihm auch ein kleines Schosshündchen kaum Abbruch. Pudel sind okay, ein robuster Weimaraner oder Wischla wäre aber sicher besser. Oder ein Labrador, der geht immer. Wenn jemand einen für mich hat: Immer her damit!

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Und last but not least: Wie sieht es mit Schönheitsoperationen aus? Darf sich der Mann von heute verschönernde Engriffe beim kosmetischen Chirurgen leisten?  Ich finde: Wer so etwas erwägt, sollte besser Geld in eine Psychotherapie investieren. Denn die Langzeitergebnisse dieses Gewerbes sind ja offensichtlich nicht gut. Früher oder später sehen alle Menschen, die sich haben liften lassen, wie Monster aus. Es wäre besser – und männlicher -, der Realität aufrecht zu begegnen und zu akzeptieren, dass Jugend ein Privileg ist, das nur kurz währt.

Postscriptum vom 20.11.: Die Publikation dieses freien Gedankens führte dazu, dass auch auf NZZ Bellevue eine leicht veränderte Fassung des Textes erschienen ist, die vielleicht noch etwas spitzer, kürzer und träfer ist. HIER ist der Text zu lesen, der dort gut beachtet und oft geteilt wurde.

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