We think about Paris

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Wer mit dem Flugzeug in Paris ankommt, landet in Wladiwostok oder Tripolis – gefühlsmässig. Nie fühlte sich Futurismus so altbacken an wie am Flughafen Charles de Gaulle, der schwer in die Jahre gekommen ist und dessen bröckeliger Beton müde atmet. Man möchte meinen, dieser einst optimistisch in die Zukunft blickende Flughafen sei ein Sinnbild für die Nation Frankreich: Umständlich, verschlauft, ineffizient, von gestern. Die Verkehrsschlaufen führen rundum, rauf und runter, aber nie wirklich raus,, der Bus kurvt erst etwa dreissig Minuten in Ellipsen herum, bis man auf die Autobahn gelangt.

Ist man dann nach weiteren 45 Minuten Purgatorium durch das Gewühl vor der Stadt bis an seine Peripherie durchgedrungen, bestätigt sich dieser Eindruck noch einmal: Castorama, Ikea, Stade France – was da heute wohl läuft? Porte de Clignancourt, alles gammelt vor sich hin … Abertausende von französischen Kleinwagen von drei verschiedenen Marken, aber alle sehen gleich aus … Porte Maillot, Palais de Congres – ein Moloch, eine urbane Fehlplanung, ein Monster aus Beton, von Grössenwahnsinnigen erdacht.

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Das Herz geht einem erst auf, wenn man die Avenue de la Grande Armee hochfährt – dieser Name schon! – und dann den Triumphbogen erspäht. Auch ein bisschen grössenwahnsinnig, aber das scheint eine französische Konstante zu sein. Schliesslich tritt man hinaus aus dem Flughafen-Bus mit seiner plärrenden 80’s und 90’s Rockmusik, und hört den Sound von Paris: Permanentes Geknatter und Gewummer: Dieselmaschinen hämmern gegen röhrende Scooter an, Menschen an Mobiltelefonen krähen durch den Lärm im typischen Franko-Sing-Sang. Wer nicht telefoniert, hat Kopfhörer auf den Ohren.

Paris ist eigentlich schön. Ein Freilichtmuseum, das einmalig auf der Welt ist. Die Franzosen, die wie alle Menschen dieser Welt gerade bevorzugt auf die Screens ihrer Smartphones starren, scheinen es kaum noch wahrzunehmen. Man könnte die Stadt in einem einheitlichen Grau anstreichen, es würde wohl keiner merken, denn alle schauen ins Telefon. Dann ins Marais. Alles wie immer. Alles an seinem Ort. Jeder Stuhl steht an seinem angestammten Platz. Die Kellner haben denselben Gesichtsausdruck wie vor 25 Jahren. Sie geben ihn von Generation zu Generation weiter. Die Bistrotischchen sind immer noch viel zu klein. Die Japaner sind überall und fotografieren alle und alles. Und überall Vuitton, die Freitagtasche der Franzosen. Nothing ever changes.

Ein unsynchrones Gefühl erfasst einen. Unsere Welt hat sich in den letzten 10 Jahren unglaublich verändert. Die Technologie ist in unser Leben getreten und hat alles erfasst. Wir sind digitale 24/7-Menschen geworden, immer auf Draht, immer auf der Suche nach dem Neuen, nach Austausch und Erregung. Wir leben einerseits in einem digitalen Universum, dessen Tempo uns extrem fordert – andererseits aber auch in einer realen Welt, die praktisch gleich geblieben ist. Nur ein bisschen schmutziger ist sie geworden. Das Zeitungspapier, von dem wir einst die Nachrichten lasen, ist heute noch das Bett des Clochards.

Vielleicht muss man nicht zu lange drüber nachdenken, welches die richtige, reale Entwicklung ist – die der digitalen oder die der realen Welt. Es erzeugt nur ein unangenehmes Ziehen. Vielleicht muss man in Paris den Anspruch an Veränderung, Tempo und Erneuerung einfach ausschalten und sich freuen, dass hier alles so ist, wie es immer war. Man ist in einem Museum, das lebt. Und das sich gaaaanz langsam, wenn überhaupt, erneuert.

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