We believe in retail

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Man liest ja fast jede Woche davon: Das Leben als Einzelhändler ist derzeit kein Zuckerschlecken. Der Wandel der Konsumgewohnheiten und die zunehmende Konkurrenz im Netz haben in jüngster  Zeit wieder prominente Opfer im In- und Ausland gefordert. Auch Riesen knicken ein, in den USA, Deutschland und der Schweiz. Die «NZZ am Sonntag» schrieb gerade, dass im Jahr 2018 die Umsätze um 8 Prozent zurück gegangen seien, in den letzten fünf Jahren gar um 25 Prozent. Und dennoch betreiben wir selbst einen Laden – zu unserer zeitweiligen Verblüffung sogar mit Erfolg.

Allerdings ist der Aufwand dafür beträchtlich. Doch muss das nicht auch so sein? Vermutlich sind einfach die Wachstumsgrenzen erreicht, die Schränke sind voll. Die Menschen gehen heute also nicht mehr shoppen, weil sie etwas brauchen, sondern vielmehr, weil sie etwas erleben wollen. Und das muss der Handel heute bedenken. Wir merken das selbst auch fast jeden Tag im Viadukt, wo wir seit gut drei Jahren einen Gemischtwarenladen namens «CABINET» haben. Wir haben viele Sachen im Laden, auf die man problemlos verzichten könnte. Aber wir verkaufen sie trotzdem gut, weil wir die Leute damit emotional ansprechen.

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Detailhandel ist eine kreative Disziplin. Es braucht eine subtile Abstimmung aller Faktoren, damit es klappt. Man braucht den richtigen Standort, ein stimmiges Sortiment, ein schönes Ambiente, schlaues Personal, eine durchdachte Kommunikation, treue Kunden und eine gute Portion Glück. Und hier ist, was man auch noch können oder haben sollte:

1. MUT ZUR EIGENSTÄNDIGKEIT

Nach meiner Beobachtung fehlt es weiten Teilen dieser Branche an Smartness, an Selbstbewusstsein und an Zukunftsglauben. Und ich vermisse die Originalität, den Mut zur Eigenständigkeit. Stattdessen sehe ich überall die gleichen austauschbaren Kollektionen, die an denselben Messen eingekauft werden. Die Läden haben oft das gleiche Systemsortiment. Doch ich glaube nicht, dass das so ist, weil die Leute alle mainstream sind und nicht mehr Abwechslung wollen. Es dürfte eher an der Faulheit der Einkäufer und Flächenbewirtschafter liegen. Es mag ja bequem sein, sich von ein paar grossen Lieferanten den Laden füllen zu lassen, aber originell ist es nicht. Es schafft keinerlei Differenzierung und Wiedererkennbarkeit, sondern es wird alles ein einziger fader Brei, der die Kunden zunehmend kalt lässt.

2. WISSEN VERMITTELN

Erfolg im Handel beginnt mit Sachkenntnis, Know-how, Kompetenz und der Fähigkeit, diese Dinge weiterzugeben. Ein gutes Geschäft begrüsst und empfängt seine Kunden auf Augenhöhe. Im besten Falle kennt man das Personal oder den Inhaber, und man mag diese Menschen, weil sie für etwas einstehen. Sie wissen oder fühlen, ob man beraten werden oder nur ein bisschen stöbern will.

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3. HUMAN TOUCH

Menschen wollen mit Menschen zu tun haben. Ein gutes Geschäft hat – wie eine starke Persönlichkeit – eine Seele, Charakter, eine Haltung und Ausstrahlung. Der Laden ist die Bühne, der Inhaber und seine Mitarbeiter sind die Schauspieler, die Ware sind nur Requisiten. Niemand geht nur wegen eines Bühnenbilds in die Oper, es braucht schon auch menschliche Energie dazu. Das beste Kapital ist ein begeisternder, informierter und sich mit der Marke identifizierender Mitarbeiter.

4. EIN KNALLER-TEAM

Hinter jedem guten Laden steckt ein Team von gut aufeinander abgestimmten Mitarbeitern. Es wäre also nur fair, diese Menschen auch hin und wieder zu zeigen und ihnen die Bühne zu überlassen. Sie sind mehr als nur Lohnkosten. Traditionell werden Einkäufer wie Verkäufer am Abverkauf gemessen – und im Erfolgsfall beteiligt. Diese quantitative Kompensation ist ein veraltetes Modell. Gute Mitarbeiter sind mehr wert. Es muss es auch andere Faktoren geben, die entlöhnt werden, etwa das Schaffen guter Beziehungen und das Initiieren neuer Partnerschaften. Ausserdem muss das Verkaufspersonal viel besser ausgebildet werden. Sie sind heute mit Kunden konfrontiert, die oft besser über Marken und Produkte Bescheid wissen, als sie es selber tun. Man muss darum Sprache und Storytelling trainieren.

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5. EMOTIONEN STIMULIEREN

Wenn Zeit heute der grösste Luxus ist, dann müssen wir den Leuten für die Zeit, die sie ins Shopping investieren, auch auch etwas zurückgeben. Dabei sind die emotionalen Momente, auf die es ankommt. Man muss Wow-Momente schaffen. Die Leute verblüffen. Wenn diese dann wieder zu sich gekommen sind, bietet man ihnen Kaffee oder Wasser an, ganz ohne Verpflichtung. Wer etwas probiert, bekommt dazu vom Personal eine ehrliche Meinung. Und wer etwas kauft, bekommt es schön verpackt und mit einem warmen Dank ausgehändigt. In gewissem Sinne müssen Retailer heute nicht mehr Händler, sondern Gastgeber sein, und ihre Kunden die Gäste. Vielleicht sollte man sich also nicht anschauen, wie es andere Läden machen, sondern wie es gute Restaurants und exklusive Hotels machen.

6. EDIT YOUR GOODS

Es tut manchmal auch ganz gut, Platz zu machen für Dinge, die man nicht kaufen kann. Die Flächenrentabilität leidet dann zwar, aber die Attraktivität nimmt dadurch zu. Eine Auswahl treffen, sich entscheiden, Mut zum Weglassen haben: Man nennt dies neudeutsch auch redigieren oder editieren, und daher kommt das Wort des „editorial approach“, also des redaktionellen Ansatzes von Handel. Ein Laden muss wie eine Publikation bespielt werden, es geht um Artikel. Man geht an die Themen ran wie ein Magazin, wechselt sein Programm wie eine Galerie und verkauft Dinge wie ein Laden.

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7. EMBRACE ONLINE

Das Internet wird nicht mehr weggehen, also nutzen wir es doch. Es braucht aber nicht jeder Laden einen eigenen Online-Store zu haben. Die dafür nötigen Systeme und Investitionen lohnen sich für kleinere Anbieter oft nicht. Ausserdem brauchen sie viel Zeit. Wenn einem das Spass macht, dann soll man es tun. Zusatzverkäufe schaden nie. Was aber jeder Laden unbedingt braucht, ist eine durchdachte und kontinuierliche Online-Kommunikation. Die Kanäle der bekannten Social-Media-Plattformen sind hierfür ein einfaches und zielführendes Instrument. Dank dieser ist der Handel auch nicht mehr auf den klassischen „Vermittler“ (Medien) angewiesen, sondern kommuniziert direkt mit seinen Kunden und Followern. Dass diese Kommunikation echt, authentisch und spannend sein muss, versteht sich von selbst.

Wir rekapitulieren: Es ist alles andere als einfach, und es wird immer schwieriger. Life is not a picnic, sagen die Briten. Oder etwas amerikanisch-prolliger: Life is a bitch. Es ist kompliziert und aufwändig. Handel im Jahr 2019 braucht ganz neue Talente und Mittel, wahrscheinlich auch grössere Budgets für Personal, Marketing, Ladenbau und Dekoration. Die Rechnung, die man vor zwanzig Jahren noch gemacht hat, ist Makulatur. Die Rentabilität ist eine ganz andere geworden. Aber es ist der einzige Weg für Sie, wenn man die Zukunft des Handels mit gestalten und nicht aus der Bahn fliegen will.

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Siehe auch https://cabinet-store.ch/

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